Keine Angst vor Anakondas
irgendwo. Nicht da, wo ein großer Fels oder ein Busch ist, sondern irgendwo im Nirgendwo. Es wäre reiner Zufall, wenn hier der Fuchs vorbeikäme. Und wenn ein Fuchs käme, hat der Mornellregenpfeifer einen Trick. Der funktioniert ganz einfach: Der Regenpfeifer springt vom Nest auf, bevor der Fuchs es sehen kann. Die Eier sind durch schwarze Fleckung perfekt getarnt. Das Nest als solches ist nicht zu erkennen. Und genau so will es der Mornell haben. Der Regenpfeifer rennt dann vor den Fuchs hin und simuliert den Schwerverletzten. Er ist ein großartiger Schauspieler, abgesehen davon vielleicht, dass er maßlos übertreibt. Er tut so, als hätte er gebrochene Flügel und gebrochene Beine. Dazu piepst er jämmerlich, während seine Lautäußerungen ansonsten weich und gedämpft wirken, unscheinbar eben, wie seine Lebensweise im Verborgenen. Er lässt die Flügel über den Boden schleifen und hinkt im Schlingerschritt. »Eine leichte Beute«, denkt sich der Fuchs, und rennt sofort hinterher. Rasch läuft der Mornell eine kleine Strecke. Nun beginnt das theatralische Schauspiel von vorne. Kann der Mornell den Eindringling nicht von seinem Nest oder den Nestflüchtlingen ablenken, schauspielert er mit zitternden Flügeln und Schwanz den sterbenden Schwan. Nicht von ungefähr hat er den lateinischen Namen morinellus bekommen, was »Kleiner Narr« bedeutet.
Dumm gelaufen
Der Mornell lockt den angeblich so schlauen Fuchs vom Nest fort. Der ist so einfältig und merkt nicht, wo der Hase langläuft. Das ist seit Tausenden von Jahren so, dass der Fuchs veralbert wird. Und wenn der kluge Vogel den Fuchs ein-, zweihundert Meter weit weggelockt hat, dann fliegt der Mornell auf, und der Fuchs steht da wie der Ochs vorm Berg. Der Regenpfeifer indes fliegt im Halbkreis zu seinem Nest zurück und setzt sich darauf. Er duckt sich flach und ist wieder unsichtbar, bis sich vielleicht der nächste Fuchs zufällig im Irgendwo verirrt – oder zwei Tierfilmer ihm auflauern.
Ernst Arendt und Hans Schweiger suchen das Nest. Mit Feldstechern beobachten sie das Paar. Damit haben sie aber noch lange nicht das Nest ausgemacht, denn nur das Männchen sitzt auf dem Nest und brütet. Das Weibchen ist oft in der Nähe und steht in akustischem Kontakt mit dem Männchen. Meist ist sie als Wachposten im Brutgebiet auf kleinen Erhebungen positioniert. Wenn nötig, beteiligt sie sich an der Verteidigung des Nestes. Werden die Regenpfeifer gestört, haben sie ein eigenartiges Verhalten entwickelt. Sie drehen den Kopf auffällig weg, als wenn sie den Störer nicht sehen würden. In Wirklichkeit aber fixieren sie den Störenfried. Erfahrene Vogelkundler können Weibchen und Männchen unterscheiden, denn die Weibchen werden größer und sind etwas auffälliger gefärbt. Um das Nest zu finden, beobachten sie, wo das Männchen sich niederlässt, und merken sich möglichst genau die Stelle. Dann schnappen sie Kamera, Stativ und Tonaufnahmegerät und marschieren vorsichtig auf die Stelle zu.
Diese Methode ist für Ernst Arendt und Hans Schweiger aber sehr ungewöhnlich, und sie wenden sie nur an, weil sie den Wahrheitsgehalt der Sage von dem Vogel in der Hand überprüfen wollen. Wenn sie Tiere filmen, versuchen sie es ansonsten so zu gestalten, dass die Tiere nicht durch ihre Anwesenheit beunruhigt werden, am besten erst gar nicht mitbekommen, dass sie in der Nähe sind. Meistens filmen sie Vögel aus einem Versteck oder Tarnzelt heraus. Wenn sie ein Nest filmen, müssen sie ins Tarnzelt hinein und wieder hinaus. Dabei werden sie gesehen, das lässt sich nicht vermeiden. Wenn aber beispielsweise Hans Schweiger in das Beobachtungszelt geht, werden die Elternvögel ihn beobachten und wissen, dass er im Zelt vor ihnen sitzt. Die Kameraleute greifen deshalb auf einen einfachen Trick zurück: Sie gehen zu zweit ins Tarnzelt hinein, und bald darauf verlässt eine Person ostentativ das Versteck wieder. So ein Vogel denkt sich dann: »Aha, da ist eine Gefahr gekommen, und jetzt geht sie wieder. Dann ist ja alles wieder in Butter.« Entweder – oder, schwarz oder weiß, so funktionieren viele Vogelgehirne eben.
Krähenvögel und Papageien sind auf diese Weise nicht gut auszutricksen. Die können zählen. Bei Krähenvögeln haben die Tierfilmer festgestellt, dass sie mit mindestens acht Leuten ins Versteck gehen und dann sieben wieder abziehen müssen, um die Vögel zu täuschen. Eine verblüffende Intelligenzleistung. Krähenvögel lernen und sind dadurch sehr
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