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Keine Angst vor Anakondas

Keine Angst vor Anakondas

Titel: Keine Angst vor Anakondas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lutz Dirksen
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anderen seine Gültigkeit verlieren. Respekt und ständige Aufmerksamkeit sind unabdingbar im Umgang mit wilden Raubtieren.
Brunos Spießrutenlauf
    Ein Westeuropäer ist es gewohnt, dass alle wilden Tiere vor ihm fliehen. Meist sieht er sie erst gar nicht – oder erkennt in der Nacht höchstens einmal eine Silhouette beim Weghuschen. Wir haben die Wildtiere so furchtsam gemacht, denn ursprünglich waren sie weniger scheu. Alle großen Raubtiere haben wir Menschen nahezu komplett ausgerottet. Wenn dann doch einmal ein größeres Exemplar durch unsere Lande streift, wie vor einigen Jahren der Bär Bruno in Süddeutschland, dann wird zur großen Treibjagd geblasen.
    Die ganze Nation verfolgt ein solch spektakuläres Ereignis aufgeregt vom sicheren Sofa aus mit. Die Medien, insbesondere die Sensationspresse, versorgen uns mit spannenden Schlagzeilen, über die sich jeder, vom Schäfer bis zum Bürgermeister, auslassen kann. Es wird klargestellt, dass man doch bitte keinen Bären im Umkreis von 50 Kilometern um sich herum dulden könne, beziehungsweise derartige Tiere am besten erst gar nicht in unserem Land vorkommen sollten. Da müsse durchgegriffen und der Bär zum finalen Abschuss freigegeben werden. Nun, fast jeden Tag sehen wir in einem Tierfilm oder in einer der vielen Zooserien, wie einfach es ist, ein Tier mit einem Betäubungsschuss ruhig zu stellen, um es zu untersuchen oder umzusiedeln. Bruno hätte schlafend in das Bärenreservat in Südeuropa zurückgebracht werden können. Stattdessen wurde er erschossen.
    Bruno verdeutlicht uns, wie sehr wir den Kontakt zur Natur verloren haben, aber auch, welche Urängste in uns schlummern. Wir wissen heute nicht mehr, wie wir mit einem wilden Tier umgehen sollen, das selbstbewusst genug ist, sich dem Menschen entgegenzustellen, und sei es aus einem Missverständnis heraus. Wir nehmen billigend in Kauf, dass jedes Jahr Tausende von Menschen im Straßenverkehr sterben. Wenn aber irgendwo auf der Welt ein Tier einen Menschen tötet, dann ist das der Presse nach wie vor einen reißerischen Bericht wert. Dabei wird die unbewusste Angst der Menschen vor gefährlichen Tieren angesprochen und geschürt. Jene Angst, die noch bis vor wenigen tausend Jahren, als der Mensch draußen Tag für Tag um sein Überleben kämpfen musste, ihre absolute Berechtigung hatte.
    Man kann von niemandem erwarten, dass er so mit Tieren umgeht und sich so nah an sie herantraut, wie Andreas Kieling das macht. Dafür muss man ein Tierexperte sein. Man muss wissen, wie die Bären ticken, und erkennen können, ob das Tier vielleicht gerade mies drauf, gereizt oder hungrig ist. Kieling kann die Mimik und Gestik der Bären lesen. Beim Bären hat ein Gähnen nicht einfach zu bedeuten, dass er müde ist. »Von wegen, der ist nicht müde, der ist nur unsicher«, sagt Kieling. »Wenn er dann noch häufig einen nervösen Blick in deine Richtung wirft, dann stimmt etwas nicht mit dem Abstand. Dann ist es höchste Zeit, sich schleunigst zurückzuziehen, bevor der Bär seinem Unmut Taten folgen lässt.«
    Dieses Verhalten kann man auch bei anderen Raubtieren beobachten. Man wähnt sich in Sicherheit, doch genau das Gegenteil ist der Fall. Ein unsicherer Bär ist nervös, angriffsbereit und wird viel eher zulangen als ein vollgefutterter, entspannter Grizzly, dessen innere Stimme ihm Ruhe und Verdauung verordnet hat.
    Die Tierfilmer Oliver Goetzl und Ivo Nörenberg hatten in Norwegen einmal drei männliche Braunbären vor der Kamera, die zu kämpfen anfingen. Die beiden Kameraleute waren begeistert und sind langsam immer dichter herangegangen. Erst im Nachhinein wurde ihnen klar, dass die Tiere nur gekämpft haben, um ihnen zu zeigen: Hey, bis hierher, aber nicht weiter!
    Die Bären haben Schaukämpfe für die beiden veranstaltet. Ein Bärenkenner weiß diesen Effekt auszunutzen. Durch das Eindringen in den Bannkreis des Bären kann er diesen reizen, ein Verhalten zu zeigen, das er ansonsten der Kamera nicht bieten würde. Wenn der Bär sich aufstellt und einen Scheinangriff durchführt, dann steigt die Spannung und damit auch die Einschaltquote. Es ist ein schmaler Grat zwischen dem Begeistern der Zuschauer und der naturnahen Darstellung der Tiere. Manche Tierfilmer lehnen es kategorisch ab, die Tiere durch ihre Anwesenheit bewusst zu beeinflussen. Andere wiederum treten wissentlich in Interaktion, um ihnen bestimmte Verhaltensweisen zu entlocken und diese dann zu filmen. Die Charaktere der Tierfilmer sind ebenso

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