Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Keine Angst

Keine Angst

Titel: Keine Angst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schätzing
Vom Netzwerk:
sagte, warum willst du gehen, das ist womöglich hier der schönste Ort der Welt. Und er legte den Kopf in den Nacken und ließ seinen Blick über die Decke schweifen. Die Milchstraße ist ein Dreck dagegen, rief er, ein Scheißdreck! Wenn ich will, dann kaufe ich sie und das ganze verdammte Universum dazu, habt ihr mich verstanden? Aber diese Decke – bei Gott, daß man hineintaumeln möchte und sich drin verlieren!«
    Unwillkürlich sah auch der Sammler nach oben. Tatsächlich war die Decke von einer Farbe, die kein Maler je würde anrühren können. Die Zeit hatte sie aufgetragen. Jeder Fleck, jede Verfärbung glich einer Insel, über die es bücherweise Geschichten hätte geben müssen, nur, daß niemand diese Geschichten je würde aufschreiben können.
    »Vernon wollte gehen«, fuhr sie fort. Sie schien jetzt zu sich selbst zu sprechen. »Es ist spät, Karl, sagte er zu Habermas, du weißt, daß wir uns morgen vor Terminen kaum retten können. Habermas sah ihn eine Weile an und nickte, aber er machte keinen Anstalten, aufzustehen. Fuhr sich nur über die grauen Bartstoppeln und lächelte so ein komisches Lächeln, wie sie es noch nie zuvor an ihm gesehen hatten.
    Laß uns gehen, bat Yvonne. Sie fühlte sich von einer Unruhe ergriffen, die sie zusammenschauern ließ. Aber Habermas hatte nur sein Lachen für sie. Wir haben nicht genug getrunken, sagte er. Wir müssen unbedingt noch das Faß hinmachen, damit’s uns später nicht im Traum erscheint.
    Kann das nicht ein Ende haben, flehte Yvonne, diese ewigen Kölsch-Orgien, ich kann’s nicht mehr ertragen, und Habermas erwiderte konziliant: Aber sicher, alles, was du willst, Liebling, sag, wonach dir ist. Sein Tonfall brachte sie in Rage! Ich will einfach nur ins Bett, fuhr sie ihn an, stell dir das mal vor. Einfach nur schlafen, geht das in deinen Schädel?
    Habermas nickte. Ja, sagte er, das will ich auch. Aber vorher müssen wir eben noch was trinken. Seine Aussprache ließ schwer zu wünschen übrig, so daß sie dachten, er sei betrunken. Schließlich stimmten sie in Gottes Namen zu. Damit er endlich Frieden gäbe.«
    Sie schüttelte tadelnd den Kopf.
    »Als hätten sie ihn nicht gekannt. Habermas gab niemals Frieden. Es kam viel schlimmer. Er bestand auf einer Runde Roulette. Sie redeten auf ihn ein wie auf einen kranken Gaul, endlich Ruhe zu geben und mit nach Hause zu kommen, aber er war nicht umzustimmen. Kicherte nur in sich hinein und schaute listig vom einen zum anderen. Am Ende gaben sie ein weiteres Mal nach, und Habermas verschwand mit triumphierendem Gelächter in der Schwemme – da hinten hat er gestanden, wo sie ihn nicht sehen konnten – und zapfte einen Kranz voll Kölsch, während ihre Hände einander suchten, sich den Bruchteil einer Ewigkeit lang berührten und auseinanderfuhren, als Habermas mit schwerem Schritt zurückkam.
    Schnaufend stellte er den Kranz ab und ließ sich auf die Bank gegenüber Vernon fallen, so daß Yvonne zwischen ihnen saß.
    Yvonne, sagte er, wobei er seinen stechenden Blick auf Vernon heftete, du gehst leer aus. Diese Runde spiele ich nur mit meinem besten Freund Vernon, die entscheiden wir unter Männern. Nicht wahr, Vernon?
    Yvonnes Unruhe wuchs, aber Vernon zuckte nur die Achseln. Ihm war alles recht, solange es wirklich die definitiv letzte Runde war. Er war todmüde, und darum entging ihm wohl der Unterton in Habermas’ Stimme, als er noch einmal fragte: Versprochen? und Vernon mürrisch murmelte: Versprochen, ja, versprochen.
    Habermas musterte ihn und fragte: Vernon, warum schläfst du mit meiner Frau?«
    »Mann!« entfuhr es dem Sammler.
    Sie nickte.
    »Können Sie sich die jähe Stille ausmalen, die eintrat? Denn das Schlimme war, Habermas hatte recht. Schon seit über einem Jahr waren sie zusammen. In verstohlener Zweisamkeit hatten sie sich ihre gegenseitige Liebe erklärt und tausendmal beteuert, daß sie Habermas verlassen würden, jeder auf seine Weise, sobald die Zeit reif sei. Der Zeitpunkt schien ihnen gleichermaßen nah wie in weiter Ferne zu liegen, und sicher hatte jeder von ihnen unterschiedliche Vorstellungen davon. Vielleicht auch, daß sie es immer wieder noch ein bißchen mehr hinauszögerten, weil sie im Innern unfähig waren, sich vom Gespenst des Wohlstands loszusagen. Es war wohl ihr größter Fehler, ihre Liebe auf diese Unverbindlichkeit zu gründen, sonst wären sie langst schon frei gewesen.
    So aber saßen sie da und wußten im ersten Moment nichts, als jeder vor sich

Weitere Kostenlose Bücher