Keine Angst
über alle Maßen eitel?«
»Oh ja!«
»Dann hätte er sich doch freuen müssen, wenn die Leute gegen ihn verloren.«
»Nicht unbedingt. Mal so, mal so. Habermas suchte einfach nur Anlässe, um seine Stimmungen auszuleben. Es gab Abende, da feuerte er den ganzen Brauhausstab und überhaupt jeden, der mit am Tisch saß, kündigte allen die Freundschaft und verkündete, dieses von ihm erfundene Scheißspiel – so drückte er sich aus – habe er das letzte Mal gespielt. Dann wiederum war er die Jovialität in Person.«
»Und warum haben die Leute den Zirkus mitgemacht?«
»Warum?« Sie schenkte ihm einen warmen, mitleidigen Blick und seufzte. »Das können Sie nicht verstehen, junger Mann. Einen wie Habermas gibt’s eben nicht mehr. Wir hatten den Krieg verloren, er hatte ihn gewonnen. Ein Trümmerbaron. Alle sind nach seiner Pfeife getanzt, er sorgte ja für Arbeit und Wohlstand, und das war das Leben, verstehen Sie? Ist Ihnen aufgefallen, daß der Inbegriff des attraktiven Mannes nach dem Krieg mit Doppelkinn und Wampe versehen war? Fett war reich! Allen ging es nur darum, das Leben wieder anzufetten. Sie hätten sich mehr darum kümmern sollen, die in Trümmern liegende Moral wieder aufzubauen. Aber so war’s eben nicht. Sie rannten einem neuen Führer hinterher, dem Wohlstand. Ich auch. Und ebensosehr strebten die Leute aus Habermas’ Gefolge danach, gemäß der Vorstellung, nach dem Verlieren habe nun das Besitzen an der Reihe zu sein. Sehen Sie, wer den Agenten enttarnte, dem schenkte Habermas ein Pitter-männchen. Nicht mehr und nicht weniger, aber es reichte, daß sie sich beschimpfen und beleidigen, runtermachen und immer wieder fristlos kündigen ließen.«
»Unverständlich!«
»Bah«, krächzte sie mit angewiderter Miene, »was wissen denn Sie? Es ging doch nur um eines bei der ganzen Sache, weshalb Habermas das Spiel überhaupt erfunden hatte. Eben um Käuflichkeit. Habermas wollte die Prinzipien-losigkeit der Welt beweisen, aber nicht zur Warnung anderer, sondern weil er seinen Spaß daran hatte, daß die Welt schlecht und jeder käuflich sei. Wenn Sie mich fragen, war er der Versucher. Ein Teufel, dem man leicht verfiel, obwohl er Zoten riss, wie ein Loch soff, fett war und andere vor den Kopf stieß.«
Sie holte tief und rasselnd Atem.
Der Sammler verwünschte sich, daß er nicht früher an diesen Tisch gefunden hatte. Die Alte war ein Quell der Erbauung, bares Geld!
Er beugte sich vor und schlug mit der flachen Hand auf die Tischplatte. »Man sollte dieses Spiel noch einmal spielen«, sagte er, von echter Begeisterung ergriffen. Das Spiel eines Schurken!
Wieder flog das seelenlose, traurige Lächeln über ihr Gesicht, als sie ihn ansah.
»Habermas spielt es immer noch.« Sie strich sich über den Ärmel ihrer Bluse. »Er spielt es jeden Tag.«
»Sagten Sie nicht, er sei tot?« fragte der Sammler überrascht.
»Ja. Wissen Sie, anfangs hat’s schon Spaß gemacht. Die Idee an sich war gut, und wäre Habermas kein Menschenversucher und Choleriker gewesen, hätte es auch weiterhin Spaß machen können. Ich meine, ein Spiel, dessen einziger Inhalt eine Serie bezahlter Lokalrunden ist mit der Option auf ein Fäßchen, das kann ja nicht schlecht sein. Schlecht war nur, das Spiel abzulehnen, wenn man in gleich welcher Weise von Habermas abhing. Man durfte verlieren und einen Eimer Dreck über sich ausschütten lassen. In seiner Menschenverachtung wäre es Habermas nicht im Traum eingefallen, jemanden tatsächlich auf die Straße zu setzen, weil er das Spiel verloren hatte, dafür galt ihm der Einzelne zu wenig. Wir waren alle Narren an seiner Tafel. Wirklich schlimm war, nein zu sagen, wenn er ein Ja hören wollte. Nein zum Spiel zu sagen, hieß, nein zu Habermas zu sagen, zu dem, was er erreicht hatte, zu seinem Einfluß, seiner Macht. Ein Nein konnte fatale Folgen haben. Wurde man von Habermas rausgeschmissen, ich meine, wirklich rausgeschmissen, kam es vor, daß man in eine andere Stadt ziehen mußte, weil man plötzlich nirgendwo in Köln noch Arbeit fand. Ich will nicht sagen, daß die Leute Angst vor ihm hatten. Aber schon so was in der Art. Eine ebenso übertriebene wie widerstrebende Ehrfurcht, könnte man sagen. Bis auf Vernon!«
In die gelblichen Augen trat ein Glanz, als stünde dieser Vernon leibhaftig vor ihr.
Aha. Jetzt kam also der Gute ins Spiel. Grandios!
»Vernon hatte keine Angst«, sagte sie. »Als einziger nicht. Vernon war im Krieg gewesen, anders als Habermas. Er war
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