Keine E-Mail fuer Dich
und Psyche gibt es bisher nur wenige gesicherte Studien. Dies hat mit der enormen Geschwindigkeit zu tun, mit der sich digitale Medien ausbreiten. Die wissenschaftliche Forschung kann hier kaum Schritt halten, ist schnell veraltet. Zudem sind die Erkenntnisse meist unübersichtlich und auch widersprüchlich.
Die Isolation der Menschen nimmt durch die sozialen Online-Netzwerke zu, aber aktuelle Studien behaupten gern das Gegenteil. Laut einer Untersuchung des Münchner ifo Instituts, die im Jahr 2011 vorgestellt, aber bereits 2008 durchgeführt wurde, fördert das Internet bei Kindern und Jugendlichen angeblich die soziale Aktivität, und auch bei Erwachsenen zeigen sich keine negativen Effekte.
Dabei muss man bedenken, dass die sozialen Netzwerke 2008 fast noch in den Kinderschuhen steckten. Die ifo-Forscher befragten 18 000 Erwachsene und 2500 Kinder (zwischen 7 und 16 Jahren), die einen DSL -Anschluss besaßen. Deren soziales Verhalten wurde unter folgenden Gesichtspunkten unter die Lupe genommen: Anzahl der Freunde / Treffen mit Freunden und Verwandten / Häufigkeit von Aktivitäten in der realen Welt (z. B. Theater, Kino, Ausstellungen, Restaurant- und Veranstaltungsbesuche) / politisches und ehrenamtliches Engagement.
Laut der ifo-Studie haben Webnutzer demnach mehr Bekanntschafts- als Verwandtschaftskontakte. Sie sind außer Haus aktiver, aber haben mehr nicht tief gehende Sozialkontakte, jedoch angeblich auch genug »Freunde«. Das Internet habe tatsächlich einen positiven Effekt auf das »Sozialkapital« des Menschen (auf Vertrauen basierende Kontakte) und mache sie im Durchschnitt nicht zu kontaktarmen Sonderlingen.
Die Forscher feierten sich, weil sie mit der Studie dem Mythos widersprachen, das Internet fördere Einsamkeit und soziale Isolation. Die gängigen Vorurteile, das Internet »betäube« und fördere Desorientierung, sollten mit der Studie eindeutig widerlegt sein. Das Ergebnis sollte Internetkritiker wie mich positiv stimmen, deren größte Angst es ist, dass die Generation Facebook freu(n)dlos vor dem Laptop sitzt. Wieso fühle ich mich nicht beruhigt? Sehe nur ich, dass es immer weniger Miteinander in unserer Gesellschaft gibt, dass sich ein spezifisches Unwohlsein, ein Leidensdruck entwickelt hat, der sich in meiner Arbeit tagtäglich bestätigt? Die meisten meiner Klienten beklagen eine zunehmende Einsamkeit und Distanziertheit zu ihren Mitmenschen. Sie bemerken bei sich und anderen immer stärkere Kommunikations- und Beziehungsstörungen.
Grundsätzlich muss man sich die Frage über Sinn und Unsinn solcher Studien stellen. Was in der Theorie gut aussieht, kann in der Praxis ganz anders sein. Keiner der Studienteilnehmer wurde gefragt, wie es ihm tatsächlich geht, ob er sich allein fühlt oder ob er insgesamt mit seinem Leben zufrieden ist. Die emotionale Komponente wurde gar nicht erfasst. Gefühle sind nicht so einfach zu messen. Ein Mensch kann das Internet nutzen und auch sozial aktiv sein und sich trotzdem einsam fühlen, weil er mit niemandem über seine Probleme sprechen kann. Im Umkehrschluss könnte das Ergebnis dieser Studie auch lauten, dass Offliner einsamer sind, weil sie das Internet nicht nutzen. Doch ist das tatsächlich so?
Ein Fall aus meiner Praxis:
Sven, 27 Jahre alt, ist Online-Broker, ein recht kühl wirkender junger Mann, stets in Schwarz gekleidet. Den ganzen Tag sitzt und arbeitet er vor mehreren Bildschirmen. Er kann sich nur über steigende Aktienkurse freuen, ansonsten ist seine Affektivität weitestgehend lahmgelegt. Er kommt über die Trennung von seiner Freundin nicht hinweg. Wenn es Nacht wird, tauscht er sich in Internetforen mit anderen Betroffenen aus. Die dort gewonnenen Erkenntnisse reichen ihm nicht aus. Er kommt in die Praxis, um sich von mir Rat zu holen, ich soll ihm gefälligst seine Freundin zurückbringen. Ich gebe ihm keine Ratschläge, sondern interessiere mich dafür, wie seine Verletzungen entstanden sind, denn Sven wirkt auf mich emotional sehr vernachlässigt. In einem Internetforum hat er gelesen, wie er seine Freundin zurückerobern kann. »Man solle sich einerseits möglichst rarmachen, aber andererseits auch den Kontakt zum Objekt der Begierde halten.« Kaum hat er die Ratschläge in die Tat umgesetzt, ist er der Meinung, alles richtig gemacht zu haben. Seltsamerweise will sich der positive Effekt einfach nicht einstellen, und er ist sehr verwundert. Seine Exfreundin meldet sich gar nicht mehr bei ihm.
Dieser Mann beschäftigt
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