Keine E-Mail fuer Dich
Redewendung »Weniger ist mehr« kommt hier die richtige Bedeutung zu. Bei zu viel Auswahl fällt es uns schwer, Entscheidungen zu treffen. »Mehr« ist in diesem Fall also schlechter, schwieriger und unbefriedigender. Die Freiheit und die Wahlmöglichkeiten, die uns digitale Geräte ermöglich, tragen also nicht dazu bei, dass wir zufriedener und glücklicher werden. Das »Mehr« tut uns nicht gut. Doch wir wollen immer »mehr«, wir können nie genug bekommen. Es gibt keine Grenzen und Einschränkungen, alles ist möglich, jeden Tag wieder neu. Normalerweise müsste Freiheit zu mehr Motivation und Leistungssteigerung führen, das tut es in unserem digitalen Informationszeitalter aber nicht mehr. Die Qual der Wahl belastet unser Leben, denn wir verlieren die Orientierung. Dinge und Informationen können uns nicht glücklich machen, sondern eher die Begegnung mit Menschen. Ein Überangebot führt zu ständiger Verunsicherung und zu einem »Sich-dauernd-infrage-Stellen«. Stress ist vorprogrammiert. Um glücklich zu sein und zu genießen, bedarf es keiner durchgehenden Verfügbarkeit. Man lässt uns auch nichts vergessen, denn ständig werden wir durch Werbebanner, Werbefenster und Google-Suchoptimierung daran erinnert, doch bald wieder eine neue Entscheidung zu treffen. Wir bewegen uns in der virtuellen Welt in einem Optionswahn. Die Lösung liegt darin, dass wir zulassen, auch mal nicht die optimale Wahl zu treffen. Die perfekte Entscheidung gibt es nicht.
Wollen wir weiter wie ein konditionierter Hund durch die Welt laufen, der sabbert, wenn er eine Glocke hört? Wollen auch wir weitersabbern, wenn wir hören, wie eine E-Mail eintrifft, unser Smartphone klingelt oder man uns online zu einer Konsumentscheidung lockt? Das sind die Fragen, die sich jeder stellen sollte …
DIE FACEBOOK-GESCHÄDIGTEN
Was in sozialen Netzwerken vor sich geht
»Sie vertrauen mir, diese Idioten.«
Mark Zuckerberg
L aut einer aktuellen forsa-Umfrage sind 76 Prozent der Internetnutzer in sozialen Netzwerken wie Facebook, LinkedIn oder Xing aktiv. Das entspricht 40 Millionen Bundesbürgern. Zwischen 2010 und 2011 ist die Zahl der Nutzer von Online-Communities um 10 Millionen gestiegen. Bei den unter 30-Jährigen sind sogar 96 Prozent in sozialen Netzwerken unterwegs, viele haben dort angeblich mehr als 200 »Freunde«, während über 50-Jährige meist weniger als 30 Freunde »reklamieren«. Der Trend geht zum Zweit- bzw. Drittnetzwerk. Die meisten Surfer geben an, in Netzwerken Freundschaften zu pflegen (was immer das auch heißen mag). Viele informieren sich dort über Veranstaltungen, manche finden auch neue Freunde, und sechs Prozent lernen dort ihren Lebenspartner kennen.
Unter Schülern und Studenten ist es oft ganz entscheidend, bei Facebook angemeldet zu sein. Sich dem zu entziehen, ist heute fast nicht mehr möglich, sonst ist man aus gruppendynamischen Prozessen ausgeschlossen. Für viele Menschen haben soziale Netzwerke eine Orientierungsfunktion. Es gehört dazu, sein Profil möglichst attraktiv zu gestalten und Fotos online zu stellen, um ein positives Feedback zu bekommen. Aber auch andere anzuschauen, ist wichtig, um zu bewerten, wie diese sich darstellen. Ist Facebook oder Twitter also ein Ort der aktiven Auseinandersetzung mit der eigenen Persönlichkeit? Ich beobachte oft wenig Selbstwertgefühl bei Patienten, die diese Netzwerke nutzen, vor allem, wenn der Beziehungsstatus bei Facebook mit »Single« angegeben ist.
Z. B. bei Katharina, 25 Jahre. Sie ist die Freundin eines sehr berühmten Schauspielers. Mit dem Internet hat sie eine wichtige Beschäftigung für sich entdeckt. Sie braucht dringend Anerkennung, die sie im wahren Leben nicht bekommt. Sie versucht, ihr negatives Selbstwertgefühl über Twitter zu kompensieren, denn dort bekommt sie täglich positives Feedback zu ihrem Aussehen. Es gefällt ihr außerdem, sich täglich zu googeln, Fotos von sich zu sehen und Berichte über sich zu lesen, aber nur, wenn diese positiv sind. In den Medien ist sie schon lange als Promiluder bekannt, sie kommt mit ihrer öffentlichen Rolle immer schwerer klar. Die Beziehung mit dem Schauspieler findet im Verborgenen statt, da dieser verheiratet ist. Das ist für sie ein großes Problem, wünscht sie sich doch Nähe und eine gemeinsame Zukunft mit ihm. Katharina telefoniert oft über Skype mit ihrem verheirateten Freund. Völlig emotionslos hält er ihr einmal sein Kind, ein sechs Monate altes Baby, in die Kamera. Dieser
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