Keine E-Mail fuer Dich
Anblick ist für Katharina schwer zu ertragen. Sie empfindet wenig Sinn in ihrem Leben, fällt in eine schwere Depression und hat Suizidgedanken.
Laut der World Health Organization ( WHO ) wird im Jahr 2030 die Depression das meistdiagnostizierte Krankheitsbild in Industrieländern sein. Symptome einer Depression sind meist Verzweiflung, Hoffnungslosigkeit, Grübelzwang, starke Müdigkeit bzw. Einschlaf- und Durchschlafstörungen. Die Patienten sind im Denken und Antrieb gehemmt, das Selbstwertgefühl ist oft gering, es existiert eine starke Orientierung an anderen und die Gefahr einer wachsenden Abhängigkeit von stark dominanten Bezugspersonen. Die Betroffenen erleben eine große Angst vor Verlust, Ablehnung, Trennung und Verlassenwerden. Die permanente Suche nach Bestätigung durch andere Menschen ist meist typisch für ihren gesamten Lebensweg. Psychosoziale Stresserlebnisse – wie bei Katharina mit dem Baby – sind meist Risikofaktoren für depressive Erkrankungen. Häufig findet sich eine latente Suizidalität, das heißt, alle Gedanken oder Handlungen gehen in die Richtung, das eigene Leben durch Selbsttötung zu beenden.
Auch das folgende Beispiel zeigt, wie soziale Netzwerke im Internet das Leben negativ beeinträchtigen können.
Julia, 21 Jahre alt, Studentin, hat sich in der Welt von Facebook & Co. verirrt. Das ständige Beobachten anderer Menschen in der virtuellen Welt ist für sie lebenswichtig geworden. Reale zwischenmenschliche Beziehungen zu Kommilitonen zu pflegen, ist so gut wie gar nicht mehr möglich für sie. Für Prüfungen zu lernen und Hausarbeiten zu schreiben, fällt ihr sehr schwer. Julia stellt plötzlich fest, wie allein und einsam sie ist. Ihr Freund hat mit ihr Schluss gemacht. Plötzlich sind schon Fotos seiner neuen Freundin auf Facebook online. Dies verkraftet sie nur schwer, sie traut sich vor lauter Scham wochenlang nicht aus dem Haus. Stattdessen chattet sie nächtelang mit einem Kommilitonen und fühlt sich deshalb sehr zu ihm hingezogen. Wenn sie sich in der Mensa aber tatsächlich über den Weg laufen, reden sie kein einziges Wort miteinander und ignorieren sich. Julia leidet darunter sehr, vor allem unter ihrer eigenen Unfähigkeit, in der Realität jemanden anzusprechen.
Dysfunktionale Verhaltensweisen von Patienten, z. B. Rückzug oder die Vermeidung unangenehmer Situationen, sind mir als Therapeutin wohlbekannt, das gab es schon immer. Diese haben allerdings durch die neuen technischen Möglichkeiten eine neue Ausdrucksform gefunden.
Bei Julia hat sich als psychisches Krankheitsbild eine soziale Phobie entwickelt. Es ist eine stark anhaltende Angst vor Situationen, in denen man im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit anderer steht bzw. prüfender Beobachtung durch Menschen ausgesetzt ist. Typisch sind ein niedriges Selbstwertgefühl und die Furcht vor jeglicher Kritik. Die Beschwerden äußern sich in Erröten, Händezittern, der Vermeidung von Blickkontakt, Übelkeit oder Herzklopfen. Die betroffenen Patienten neigen zu ausgeprägtem Vermeidungsverhalten und bleiben deshalb am liebsten zu Hause. Dort leiden sie mit sich allein. Das Internet bietet eine Möglichkeit, Kontakt mit der Außenwelt zu halten, ohne dass man das Haus verlassen muss, und fördert, verstärkt und begünstigt so das Krankheitsbild. Was es nicht bietet, ist »echte« Kommunikation, auf die wir angewiesen sind, um uns in unserer Personalität zu erleben.
Für Menschen wie Katharina gibt es auf Facebook sogar eine Suizid-Warnfunktion. Ich halte dies für Entertainment, denn es wird diesem ernsten Thema nicht gerecht. Ein suizidgefährdeter Mensch bedarf einer Psychotherapie. Ich frage mich, warum sogenannte »Facebook-Freunde« Suizidabsichten anderer kommentieren, aber nicht selbst helfend eingreifen. Mit einer Suizid-Warnfunktion wird Verantwortung abgegeben.
Noch unsinniger: Bei einer »If I die«-App werden Menschen dazu angehalten, für den Fall ihres Todes Nachrichten auf ihrem Nutzerprofil zu hinterlassen. Auch das halte ich für eine überflüssige Spielerei und Zeitverschwendung. Diese Woche liebe ich meinen Freund noch, nächste Woche schon nicht mehr und übernächste Woche vielleicht. Meine hinterlassenen Nachrichten für den Fall meines Todes müssten ständig aktualisiert und an das aktuelle Geschehen angepasst werden. Als Effekt könnte man das Gefühl bekommen, solch eine App tatsächlich zu brauchen.
Für sinnvoll halte ich hingegen, eine schriftliche Liste mit allen Accounts und
Weitere Kostenlose Bücher