Keine E-Mail fuer Dich
Opfer sind meist sehr lang anhaltend. Typisch sind starke Ängste, posttraumatischer Stress, Depressionen und Suizidgedanken. Es handelt sich um ein sehr ernst zu nehmendes Thema die psychische Gesundheit betreffend. Es ist in westlichen Industrieländern weit verbreitet und ein häufig vorkommendes Phänomen, das sehr negative psychische Folgen für die Opfer hat. In Deutschland existieren noch keine spezifischen Gesetze, es finden nur Rechtsbestimmungen Anwendung, die auch für reales Stalking oder Mobbing gelten. Meist findet eine geringe Strafverfolgung statt bzw. die Strafen sind eher milde. Bei der Flut von Daten im Internet ist die Kontrolle schwer.
Ein Fallbeispiel aus meiner Praxis zeigt, wie sich eine Klientin von einem Unbekannten über Facebook bis ins reale Leben sehr bedroht fühlte:
Eine spanische Studentin kontaktierte mich über eine anonyme E-Mail-Adresse und ohne Namen, was mich etwas wunderte. Sie flehte verzweifelt um einen schnellstmöglichen Termin. Sie wurde mehrmals täglich über Facebook beschimpft, beleidigt und bedroht von jemandem, den sie nicht persönlich kannte, der aber in ihrer Freundesliste war. Derjenige hatte sich wahrscheinlich einen Zweitnamen zugelegt, denn sie hatte diesen Unbekannten gegoogelt, aber nichts über ihn herausfinden können. Sie löschte ihn aus ihrer Freundesliste. Daraufhin fand sie Tage später einen Zettel an ihrer Autoscheibe: »Ich weiß, wo du wohnst.« Deshalb befürchtete sie, Opfer eines Verbrechens zu werden. Sie fühlte sich verfolgt und hatte sogar Angst, mir ihren richtigen Namen zu sagen. Sie hatte auch keinen Überweisungsschein vom Arzt und bestand darauf, die Therapiestunde sofort selbst zu bezahlen. Sie wollte unbedingt anonym bleiben und auch keinen neuen Termin ausmachen. Sie sei dann wahrscheinlich sowieso schon tot, erklärte sie mir. Ich konnte nachvollziehen, dass sie sehr verängstigt war. Ich habe ihr zu einer Anzeige geraten. Das lehnte sie strikt ab, denn falls der Mann gefunden würde, dann würde er sich an ihr rächen wollen. Eine stationäre Aufnahme lehnte sie ebenfalls ab. Später schrieb sie mir noch eine E-Mail, dass sie ihr Studium in Berlin abgebrochen habe und zurück nach Spanien geflüchtet sei, da sie sich in Deutschland nicht mehr sicher gefühlt habe.
Laut diverser Studien wird mittlerweile jeder fünfte Jugendliche Opfer von »Cybermobbing«. Und auch Erwachsene sind davon immer mehr betroffen. Ob verletzende Fotos, peinliche und/oder heimlich aufgenommene Videos oder Einträge in sozialen Netzwerken – alles ist möglich. Es wird beleidigt, belästigt, denunziert, geoutet, bedroht und gedroht, nachgestellt, verleumdet, es werden Intimitäten oder Geheimnisse verraten, Gerüchte und Hasstiraden verbreitet. Die Folgen bei den Mobbing-Opfern sind oft tiefe Verletzungen, Enttäuschung, Schlafstörungen und vor allem Angst. In schweren Fällen werden in meiner Praxis immer wieder Suizidgedanken geäußert.
Jugendschützer warnen, dass das Internet diesbezüglich kaum mehr zu kontrollieren sei. Auf der Internetseite iShareGossip konnten lange Zeit Beiträge anonym online gestellt werden, bis sie auf den Index der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien gesetzt wurde. Auf iShareGossip – zu Deutsch: Ich teile Klatsch – beschimpften sich Schüler auf niedrigstem Niveau und mobbten sich gegenseitig, es waren mehrere Schulen betroffen. Politik und Justiz haben massiv durchgegriffen, und die Seite landete auf dem Index. Doch es gibt ähnliche Portale, die weiterhin online sind.
Es ist erschreckend, wie oft moderne Kommunikationsmittel eingesetzt werden, um Beziehungen schwer zu beschädigen oder Menschen tief zu verletzen. Nicht selten sind diese Vorgänge Auslöser für psychische Störungsbilder, wie bei der 42-jährigen Andrea, die aufgrund von »Cybermobbing« unter starken Angst- und Panikattacken leidet:
Andreas Ehemann war ganz plötzlich verstorben, darum kam sie ursprünglich in meine Praxis. Im Laufe der Therapie, die sie in ihrer Trauer sucht, stellt sich heraus, dass Andrea schon seit zwei Jahren ein Verhältnis zu einem verheirateten Arbeitskollegen hat. Beide werden heimlich mit dem Handy im Park fotografiert, und die Fotos werden per E-Mail an dessen Ehefrau weitergeleitet. Die betrogene Ehefrau ist die Bürgermeisterin eines kleinen Örtchens in Brandenburg, und es beginnt ein »Internet-Krieg«, den Andrea schwer zu spüren bekommt. Die erzürnte Ehefrau verschickt beleidigende E-Mails , der
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