Keine Frage des Geschmacks
Sonst nichts.«
»Und dein Antonio?«
»Er hat nicht viel Geld, und geerbt hat er auch nichts. Sein Bruder war restlos pleite, der hatte all sein Geld bei Lehman Brothers und Konsorten angelegt. Ein Nachlasskonkurs. Toni musste die Entscheidung des Gerichts abwarten, die Schulden wollte und konnte er nicht übernehmen. Als die Papiere endlich vorlagen, war ich froh, ihn nicht länger im Haus haben zu müssen.«
»Und das war alles?«
»Ja.«
»Und deine Unterwäsche im Büroschrank?«
»Als ich einmal früher nach Hause kam, habe ihn dabei erwischt …« Sie biss sich auf die Lippen und zündete die nächste Zigarette an. Dann nahm sie einen Schluck Wein und schaute in den nächtlichen Regen hinaus. »Lassen wir das, bitte.«
»Sag mal, Marietta, kann es sein, dass du mir nicht alles erzählst?«
*
»Wer ist dieser Galvano?«, fragte Candace aufgebracht die Inspektorin, als sie am Spätnachmittag in die Questura zurückkam.
»Wo sind Sie dem denn begegnet?« Pina Cardareto, die damit beschäftigt war, die Gegenstände aus Aurelios Aktenmappe zu sichten, schaute die junge Frau neugierig an.
»In der Klinik, im Zimmer meiner Mutter! Er hat sie ausgezogen und angegafft!«
»Was?« Die Inspektorin sprang auf. »Das gibt’s doch nicht. Kommen Sie mit. Commissario!«, rief sie noch auf dem Flur und platzte schon in Laurentis Büro. »Kann es sein, dass Galvano durchgeknallt ist? Er geht ins Krankenhaus und zieht eine schwerverletzte Patientin aus. Das ist Candace Eliott, die Tochter von Miriam Natisone. Sie hat es mit eigenen Augen gesehen.«
Auch Laurenti war aufgestanden. Er zog die Tür ins Schloss und bat die beiden Frauen Platz zu nehmen.
»Sie waren aber schnell hier«, sagte er. »Wie geht es Ihrer Mutter?«
»Wir hatten schon gestern verabredet, dass ich komme. Als hätte ich’s geahnt. Sie ist sehr schwach, doch die Ärztin sagt, sie würde sich rasch erholen. Wer ist dieser Dottor Galvano?«
»Ein pensionierter Gerichtsmediziner. Woher kennen Sie seinen Namen?«
»Er hat sich mir seelenruhig vorgestellt, als wäre das, was er getan hat, völlig normal.«
Laurenti atmete beruhigt auf. »Na, Gott sei Dank, so ist ja alles okay. Dann hat er wenigstens nichts zu verbergen. Der Dottor Galvano hätte Ihnen sonst was erzählt, an Phantasie mangelt es ihm nicht.«
»Finden Sie das etwa normal, Commissario? Haben Sie denn keine offiziellen Pathologen?«
»Ich kenne keinen besseren, Miss Eliott, seien Sie ganz beruhigt. Galvano ist zwar seit einigen Jahren im Ruhestand und auch ein bisschen eigenartig, doch habe ich selbst ihn darum gebeten, ein Auge auf die beiden Opfer zu werfen. Ich werde ihn danach fragen, was er getan hat. Und wenn es Sie beruhigt, dann erstatten Sie am besten Anzeige. Die Inspektorin nimmt sie auf.«
Er erhob sich, zum Zeichen, dass für ihn die Besprechung beendet war, doch Candace rührte sich nicht vom Fleck. Laurenti hob fragend die Augenbrauen.
»Meine Mutter hat ein paar Wörter in meinen Computer getippt. Die einzige Möglichkeit, sich zu verständigen, und auch dies nur mit Mühe. Sie schrieb, dass Alberto unschuldig ist und ein gewisser Aurelio sie überfallen habe. Wer ist das?«
»Gut zu wissen. Alberto wäre somit entlastet.«
»Wer ist Aurelio?«
Laurenti gab Pina ein Zeichen. »Sobald Ihre Mutter vernehmungsfähig ist, werden wir sie befragen. Doch seien Sie bitte beruhigt, die Gefahr ist vorüber. Meine Kollegin wird es Ihnen erklären. Wenn Sie mich jetzt bitte entschuldigen.«
»Kann ich im Appartement meiner Mutter übernachten?«, fragte Candace noch.
Laurenti warf der Inspektorin einen Blick zu.
»Es ist sauber«, sagte Pina. »Keine Fremdspuren.«
»Ja, natürlich«, sagte Laurenti und reichte Candace dieHand. »Es wäre sicher hilfreich, wenn Sie uns über den Zustand Ihrer Mutter auf dem Laufenden hielten. Und auch darüber, was Sie Ihnen mitteilt.«
In Pinas Büro war es eng, und die hochgewachsene Candace klemmte sich nur mit Mühe auf den Stuhl, dessen Lehne gegen den nächsten Schreibtisch drückte, an dem ein Kollege damit beschäftigt war, die gesamten Personendaten von Aurelio Selva samt Vorstrafenregister, Fahrzeugzulassungen und Meldedokumenten seit seiner Geburt festzustellen.
»Wollen Sie Anzeige gegen Galvano erstatten?«, fragte Pina und legte die Unterlagen auf ihrem Schreibtisch zur Seite, um an die darunter verborgene Tastatur zu kommen. Ganz oben auf den Stapel legte sie die gerahmte Schwarz-Weiß-Fotografie aus
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