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Keine Frage des Geschmacks

Keine Frage des Geschmacks

Titel: Keine Frage des Geschmacks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Hanser Verlag
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trotz der späten Stunde und der langen Arbeit in der Restaurantküche unbedingt noch nach seinem Gemüsegarten sehen. Er kam mit einem Korb voller Kräuter zurück. Der Geruch der Selbstgedrehten, die ihm seine älteste Schwester aus den Lippen stahl, aber war so eindeutig, dass sein Vater ihn hätte auf der Stelle verhaften müssen. Doch Laurenti war hundemüde und sehnte sich nach dem Bett, die Leviten würde er ihm morgen lesen.
    »Und wie steht es um deinen Segeltörn?«, fragte Laurenti seine Frau gähnend, als sie zu Bett gingen.
    Laura schmiegte sich in seinen Arm und küsste ihn. Begeistert schwärmte sie davon, dass sie Samstagmittag mit ihren Freundinnen aufbrechen würde. Sie wollten die istrische Küste entlangsegeln. Am ersten Tag bis Brioni oder Pula und dann, wenn der Wind es zuließ, über die Kvarner Bucht weiter nach Süden, wo auf kleinen Inseln, die man nur mit dem Boot erreichen konnte, kleine Trattorien frischen Fisch und Meeresfrüchte servierten. Und hauseigenen Wein. Die laue Luft, die Sonne, das Meer, ein Traumschiff – und keine nölenden Männer an Bord.
    Ihre letzten Worte waren ihm entgangen. Proteo schnarchte sanft.
     
    *
     
    Was für eine Stadt! Jedes Mal, wenn Miriam eine Straße überqueren wollte, spielte sie mit dem Leben – selbst in Hanoi, wo zigtausend Mopeds sich kreuz und quer durch die Straßen drängten, zwischen Autos, Fahrradfahrern und Lastenträgern hindurch, hatte sie sich sicherer gefühlt. Hier aber gab es ein Aufgebot an Motorrollern, wie sie es in Europa noch nie gesehen hatte. Die Fahrer, gleich welchen Alters, setzten die Verkehrsregeln außer Kraft, schossen zwischenAutos, Lieferwagen und Autobussen quer über die Fahrbahnen und knatterten an den Ampeln davon wie eine Herde Antilopen, die von einem Rudel hungriger Löwen gejagt wurde. Selten sparten sie mit Schimpfworten, wenn sie am Zebrastreifen scharf abbremsen mussten, um zu vermeiden, dass ihre zweirädrigen Dumdumgeschosse mit Passantenblut verdreckt wurde. Aber auch die Autofahrer waren nicht zu unterschätzen. Für die meisten waren die beiden parallelen Fahrspuren der Einbahnstraßen zu eng. Ohne den Blinker zu setzen, wechselten sie willkürlich die Richtung und scherten sich keinen Deut um das Gezeter der anderen. Die Fahrschulen in der Stadt mussten ein eigenes, vom Rest Europas losgelöstes System eingeführt haben. Selbst in Neapel, wo Miriam vor gar nicht langer Zeit einen von der Camorra ausgebeuteten Eritreer interviewt hatte, der den Mut aufbrachte, sich an die Behörden zu wenden, einigte man sich, auch ohne Einhaltung der Gesetze, einfacher über die Vorfahrt als hier.
    Der Eigentümer der Bar delle Torri hinter der Kirche San Antonio Taumaturgo zeigte Miriam stolz die neue Ausgabe der »Bar d’Italia« des »Gambero Rosso«. Die Bibel der italienischen Gastronomie hatte diese schicke Bar auch in diesem Jahr wieder auf einen Spitzenplatz gesetzt. Miriam versprach, es in ihrem Artikel zu erwähnen, als sie plötzlich eine Hand auf ihrer Schulter fühlte. Erschrocken drehte sie sich um.
    »Ich muss mit dir reden«, sagte Alberto nur, wandte sich ab und ging hinaus.
    Der Wirt schaute sie erstaunt an. »Sie sind kaum drei Tage in Triest und kennen schon Alberto?«
    »Das ist nicht schwer«, sagte Miriam und verlangte die Rechnung. »Man begegnet ihm auf Schritt und Tritt.«
    »Ja, er hat es geschafft, er gehört längst zum Inventar. Wenn er einmal einen Tag lang nicht auftaucht, fällt das auf. Ihren Espresso spendiert übrigens das Haus.«
    Miriam bedankte sich bei dem Barista und folgte dem fliegenden Händler hinaus in die Via delle Torri, die durch den Schlagschatten zweigeteilt schien, den die Palazzi in der grellen Sonne aufs Pflaster warfen.
     
    *
     
    Einen Menschen zu beobachten und zu verfolgen, erschien Aurelio spannender, als im Büro herumzuhängen und Leles Befehlen nachzukommen. Jeden Schritt des Zielobjekts zu registrieren, sich ganz allmählich ein Bild von ihm zu machen, das sich immer deutlicher abzeichnete, bis man seinen nächsten Schritt voraussagen konnte, war aufschlussreich. Rasch hatte Aurelio die Schleichkatze, wie er sie nannte, wieder aufgespürt. Die Journalistin übte eine starke Anziehungskraft auf ihn aus. Es waren nicht nur ihr exotisches Aussehen, die raubtierartige Art, sich zu bewegen, der offene und wache Blick, das kurzgeschnittene wasserstoffblonde Haar, das so sehr von ihrem dunklen Teint abstach. In allem drückte sie Selbstbewusstsein und Stolz

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