Keine Frage des Geschmacks
kostet in Zukunft dreihundert Euro!«
»Denen werd ich den Marsch blasen bei der nächsten Stadtratssitzung. Darauf kannst du dich verlassen.«
»Die machen sich jetzt schon vor Angst ins Hemd. Erzähl lieber, woher ausgerechnet du weißt, dass es bei Raccaro klemmt?«
»Es ist nicht von Nachteil, mit einer Russin zusammenzuleben, die große Ohren hat. Auch wenn ihr dumme Witze über sie reißt. Drei Typen saßen im Scabar am Nebentisch, während wir uns über die Rotbarben hermachten, die dein Sohn zubereitet hat. Der Junge hat einen Gang mehr drauf als du, mein Freund. Köstlich. Nur ein Meter weiter redeten die Russen so lautstark über Lele, dass die Leute sich beschwerten. Es scherte sie einen feuchten Kehricht, ob sie jemand hörte. Wer spricht hier schon Russisch? Außer Raissanatürlich. Einer meinte, sie würden die AFI kassieren, seine Filmfirma, die über eine Menge Auslandskonten verfügt, satte Gewinne einfährt und jeden Konkurrenten aussticht. Angeblich nicht immer mit lauteren Mitteln.«
»AFI?«, fragte Laurenti alarmiert. »Galvano, sagtest du wirklich AFI?«
»Ja, warum?«
»Marietta, stand das nicht auf einem der Zettel aus der Hosentasche der Wasserleiche?«
Seine Assistentin hob gleichgültig die Schultern. »Niemand kennt Leles Geschäfte genau, doch mir ist auch zugetragen worden, dass er schon glücklichere Momente durchlebt habe«, mischte sich Marietta ein. »Leider wird so viel getratscht in der Stadt.«
»Und ich höre das erst jetzt«, fuhr Laurenti sie an. »Es ist das erste Mal, dass du dir auf die Zunge beißt, Marietta.«
»Du triffst dich ja mit niemandem mehr außer mit deiner Ärztin. Bist du sehr krank, Proteo?«, fragte seine Assistentin und drehte ab.
»Kümmere dich sofort um diese AFI, Marietta!«, rief Laurenti hinter ihr her.
*
Der Wind in Triest war unberechenbar. Es gab Tage, da wechselte er dreimal die Richtung, und mit ihr Licht und Schatten und Farbe des Meeres. Die Bora hatte sich über Nacht gelegt. Dafür wehte ein Libeccio, die Brise aus Südwesten – Libyen klang schon im Namen mit –, und führte heiße Luft aus Afrika nach Norden. Eine samtene Schicht hoher Schleierwolken sorgte für diffuses Licht, Himmel und Meer vereinten sich am Horizont zu einem weißen Schleier. Die kristallene Klarheit der letzten Tage war im Dunst versunken.
Auf der Frühstücksterrasse war sie die erste gewesen. Während Miriam ihren Tee genoss, schweifte ihr Blick über die Piazza, auf der die Leute zur Arbeit eilten. Nichts Verdächtiges. Es war acht Uhr, als Miriam auscheckte. Den Weg vom Hotel zum Autoverleih ging sie zu Fuß und zog den Samsonite hinter sich her, dessen Räder auf dem Pflaster ratterten. Die Fußgängerampel vor der Piazza Unità stand auf Rot, doch obgleich im Moment kein Auto vorbeifuhr, wartete sie und schaute sich um. Am Sockel eines der beiden gusseisernen Pilaster, deren Spitzen die Hellabarde zierte, lehnte ein junger Mann und schaute interessiert zur Präfektur, deren mit vergoldeten Mosaiken reich dekorierte Fassade majestätisch in der Morgensonne glitzerte. Nachdem sie die vierspurige Straße überquert und die Uferpromenade erreicht hatte, warf sie noch einen Blick zurück. Der Mann entfernte sich schnellen Schrittes in Richtung Grandhotel.
Den Wagen mietete sie nur für diesen Tag und würde ihn schon kurz nach Mittag am Flughafen zurückgeben. Ihr Plan war gut durchdacht. Jeremy Jones hatte sie in der Nacht noch einmal angerufen. Er war besorgter als sie, was den Verfolger betraf, und hatte sich nach dem ersten Telefonat umgehend mit seinem Kollegen an der Adria in Verbindung gesetzt, um die Sache zu besprechen. Sie waren sich schnell einig: Erstens hatte Miriam recht, sie hatte nichts Konkretes in der Hand, das sie bei der Polizei hätte anzeigen können, zweitens musste sie das Hotel spätestens am nächsten Morgen verlassen. Vergeblich hatte er versucht, sie zur Rückkehr nach London zu überreden, doch Miriam beharrte darauf, in der Stadt zu bleiben.
»Meinst du, ich wäre in meinem Beruf so weit gekommen, wenn ich mich immer gleich hätte erschrecken lassen?«, hatte sie geantwortet.
Eine Viertelstunde später war der Anwalt wieder am Apparat und berichtete, dass er eine neue Bleibe für sie gefundenhabe. Kein Hotel, sondern das kaum genutzte Appartement eines Kollegen. Dort könne sie bleiben, so lange sie wolle, doch müsse sie vorher um Gottes willen ihren Schatten abhängen.
Als sie die Industriezone von
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