Keine Gnade
pro Minute.
»Guten Morgen, Mr Reznik.«
»Was zum Teufel ist daran gut?«
»Nun seien Sie doch nicht so. Sie wissen doch, dass wir gut auf Sie aufpassen.«
»Ich liege hier nun schon über zwei Stunden, und die Medikamente haben mein Herz noch nicht auf normal gebracht. Es dauert doch nicht mehr lange, und Sie nehmen diese verdammten elektrischen Paddel! Die erschrecken mich immer zu Tode!«
»Die Medikamente müssten es eigentlich schaffen. Dieses Mal brauchen Sie sich keine Sorgen zu machen.«
»Ich habe es wirklich satt, mehr im Krankenhaus als zu Hause zu sein.« Der alte Mann kratzte seinen kahlen Kopf. »Schaffe ich es noch einmal, oder sollten wir nach einem Rabbi rufen?«
»Ich vermute, Ihnen sind noch einige Jahre vergönnt, Mr Reznik.«
»Das Gefühl habe ich aber nicht.«
»Wie lange haben Sie schon dieses Vorhofflimmern?«
»Es ging früh heute Morgen los â so gegen halb sechs. Ich habe ein Glas Pflaumensaft getrunken, und gerade als ich den letzten Schluck genommen hatte, ging dieses Flattern los, und das Herz schlug mir bis zum Hals. Ich kann Ihnen sagen, Doktor, das ist, als ob ein Kolibri in meiner linken Lunge eingesperrt wäre.«
»Trinken Sie jeden Morgen Pflaumensaft?«
»Wenn ich das nicht täte, wäre mein Stuhlgang aus Beton.«
»War der Pflaumensaft eiskalt?«
Er dachte einen Augenblick nach. »Mist. Normalerweise lasse ich ihn eine Weile auf dem Küchentresen stehen, bevor ich ihn trinke.«
»Sie erinnern sich daran, was ich Ihnen über das Trinken von eiskalten Getränken gesagt habe, nicht wahr?« Julian hatte Mr Reznik schon vor Jahren davor gewarnt, eiskalte Flüssigkeiten zu trinken, da sie bei Patienten mit Vorhofflimmern einen Anfall auslösen können.
»Ich fürchte, ich habe es vergessen.«
»Machen Sie sich eine Notiz, auf der steht: âºKeine eisÂkalten Getränkeâ¹, und kleben Sie sie drauÃen an den Kühlschrank.«
»Ich bin da selber dran schuld?«
»Versuchen Sie in Zukunft einfach, ein wenig achtsamer zu sein.«
»Aber ich kann doch ab und zu mal ein kaltes Bier trinken, oder, Doktor?«
»Trinken Sie Rotwein. Ist besser für Sie.« Julian blätterte durch Mr Rezniks Krankengeschichte. »Nehmen Sie denn immer noch jeden Tag Ihre Medikamente?«
»Ich habe kein Amiodaron mehr, aber noch ein paar Coumadin.«
»Seit wann haben Sie kein Amiodaron mehr?«
»Seit ungefähr einer Woche.«
»Warum haben Sie sich kein neues Rezept geholt?«
»Ich kann sie mir nicht mehr leisten. Seit dem Tod von Helen und seit ihre Social-Security-Schecks nicht mehr kommen â¦Â« Mr Reznik biss sich auf die Unterlippe, und Tränen stiegen in seine Augen. »Ich vermisse sie so sehr.«
Julian konnte sich nicht vorstellen, wie es war, alt, krank und allein zu sein. Er wartete, bis der alte Mann sich wieder gefangen hatte. »Zahlt denn Medicare nicht einen Teil Ihrer Medikamente?«
»Habe Teil D nie unterschrieben.«
»Und warum nicht?«
»Kann mir die Prämien nicht leisten.«
Julian wollte Mr Reznik einen Vortrag halten, um ihm noch einmal klarzumachen, wie wichtig es war, seine Medikamente zu nehmen. Er dachte sogar darüber nach, ihm ein wenig Angst einzujagen, aber vielleicht hatte der einsame Mann gar nicht so viel dagegen, seiner Helen schneller nachzufolgen als von der Natur vorgesehen. Möglicherweise hatte er Julians medizinischen Rat auch absichtlich nicht befolgt.
»Wir werden Folgendes tun, Mr Reznik. Ich bekomme von den Pharmavertretern, die regelmäÃig bei mir vorbeischauen, immer ganze Wagenladungen von Mustern. Sie kommen alle drei Monate zur Kontrolle bei mir vorbei, und wenn ich mich richtig erinnere, stehen Ihre Termine schon bis zum Ende des Jahres fest. Wenn Sie also herkommen, kann Ihnen mein Assistent immer beide Medikamente für die nächsten drei Monate mitgeben. Versprechen Sie mir nur, dass Sie sie jeden Tag nehmen und dass Sie sich von eiskalten Getränken fernhalten.«
Mr Reznik wischte sich die Tränen vom Gesicht. »Sie sind ein guter Mensch, Doktor. Wenn mein Sohn doch nur halb so gut wäre.«
Sami stand vor dem Zimmer ihrer Mutter im Krankenhaus, während die Schwester Josephine für die Herzoperation vorbereitete. Egal, wie sehr sie es auch versuchte, Sami konnte nicht aufhören, über ihre Sitzung mit Doktor
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