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Keine große Affäre

Keine große Affäre

Titel: Keine große Affäre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Imogen Parker
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ob alles in Ordnung wäre.
Sie sagten ihr, daß es am Ende der Station einen Aufenthaltsraum für Eltern
gab, wo man sich Tee und Kaffee machen konnte. Benommen lächelte sie sie an und
versuchte, angemessen dankbare Antworten zu geben. Sie ertappte sich dabei, wie
sie zu einem Gott betete, an den sie nicht glaubte. Bitte mach, daß sie
überlebt. Bitte mach, daß sie keinen Schaden zurückbehält. Bitte mach, daß es
nicht meine Schuld ist.
    Als sich die Station draußen mit
Abendbesuchern füllte, mit Großmüttern, die Ostereier mitbrachten, Onkeln und
Tanten mit rosafarbenen und gelben Plüschkaninchen, Vätern mit grimmigen,
besorgten Gesichtern, die von ihren Frauen angestupst wurden, damit sie
lächelten, fühlte Lia sich langsam schrecklich einsam. Sie konnte es sich nicht
einmal erlauben, die Station zu verlassen, um ein Telephon zu suchen, und
selbst wenn sie es tun würde, hätte sie niemanden, den sie anrufen konnte. Dies
war eine Zeit, in der man eine Familie brauchte, wurde ihr bewußt. Freunde
kamen zu Besuch ins Krankenhaus, wenn das Schlimmste vorbei war. Dann konnten
sie sich hinsetzen und reden und Trauben aus den Obstkörben auf dem Nachtspind
stibitzen. Familienmitglieder dagegen ließen alles stehen und liegen und kamen
in Jeans, die mit der Kuchenmischung bekleckert waren, die sie gerade angerührt
hatten, als man anrief.
    Lia sehnte sich nach jemandem, dem sie
Anouskas Leben so lange anvertrauen konnte, bis sie aufs Klo gegangen war oder
sich eine Cola aus dem Automaten in der Eingangshalle geholt hatte, oder bis
sie den warmen Krankenhausmief kurz verlassen und ihre Lungen draußen mit
kalter Luft gefüllt hatte. Zum ersten Mal, seit sie erwachsen war, wollte sie
eine Mutter. Eine Träne tropfte ihr die Wange herunter. Sie wischte sie mit dem
Handrücken weg. Sie gestattete es sich nicht zu weinen. Sie mußte für ihre
Tochter stark sein. Sie konnte sie nicht verlassen, wie ihre eigene Mutter es
getan hatte. Hier im Krankenhaus, wo sie herumsaß und wartete, an der Grenze
zwischen Leben und Tod, konnte sie fast verstehen, wie ihre Mutter das hatte
tun können. Es war schrecklich, Mutter zu sein, wenn das eigene Kind litt. Es
nahm einem die Identität, machte einen vollkommen verantwortlich und
gleichzeitig völlig nutzlos. Im Leben gab es immer einen Notausgang. Man konnte
Dingen, die man nicht mochte, entgehen. Als Mutter konnte man das nicht. Man
saß in der Falle, und kein Jammern und Flehen konnte einen retten, es sei denn,
man ging einfach weg. Nein. Sie ballte die Fäuste und versuchte den Gedanken
körperlich zu kontrollieren, der in ihrem unruhigen Gehirn langsam an Boden
gewann. Für das Leben seines Kindes war die Freiheit ein winziger Preis, den
man bezahlen mußte.
    Im selben Moment bemerkte sie, daß
jemand in der Tür stand und darauf wartete, daß sie aufblickte, damit sie nicht
erschreckte.
    »Ich habe dir ein Handy mitgebracht«,
sagte Ginger. »Tut mir leid, ich hatte keine Gelegenheit, noch etwas anderes zu
besorgen. Es gehört übrigens Pic, aber die Batterie ist geladen, und ich
dachte, du hättest vielleicht gern eine Verbindung zur Außenwelt. Wir fanden
das sehr nützlich bei Daddy. Wir haben sogar Mummy beigebracht, wie man es
bedient. Schau, es ist ganz einfach...« Sie kam zu ihr und setzte sich neben
sie.
    Lia konnte sich nicht mehr
beherrschen. Sie legte das Gesicht an Gingers Schulter und weinte und weinte
und weinte.
    »Wo ist Guy?« fragte sie, als die
Schluchzer langsam nachließen.
    »Mach dir keine Sorgen um ihn. Pic ist
mit ihm in meiner Wohnung. Ich glaube, er ist der einzige von uns, der
Krankenhäuser einfach liebt. Er hat in Daddys Klinik den ganzen Nachmittag mit
den Schwestern geflirtet. Wie schade, daß wir nicht alle im selben Krankenhaus
sind. Es würde das Leben um vieles einfacher machen...«
    »Tut mir leid«, sagte Lia.
    Verärgert über ihre ewigen Entschuldigungen,
sah Ginger sie an. »Ich kann nicht lange bleiben, also sag mir lieber, was du
brauchst...«, befahl sie.
    »Eigentlich nichts«, sagte Lia
automatisch. »Außer Gesellschaft«, fügte sie hinzu und lächelte schwach.
    »Sei nicht albern. Ich besorge dir was
zu essen und zu trinken für die Nacht. Ich habe dir ein paar Unterhosen und ein
langes T-Shirt mitgebracht, das ich als Nachthemd benutze. Es ist alles ein
bißchen krumpelig, aber sauber«, sagte Ginger energisch. »Und jetzt kannst du
auch Neil anrufen...«, fügte sie hinzu und reichte ihr das Telephon.
    »Ich weiß seine

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