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Keine große Affäre

Keine große Affäre

Titel: Keine große Affäre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Imogen Parker
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gräßlich, stimmt’s?«
    »Was sollen wir jetzt machen?« fragte
Neil sie, der sich angesichts ihres Geplappers geschlagen gab. Er verstand, was
sie damit bezweckte, und womöglich hatte sie recht. Vielleicht war es nicht der
richtige Zeitpunkt, darüber zu sprechen. Nicht, wenn sie beide viel getrunken
hatten. Sie war betrunken und glücklich, und er wollte ihr nichts Böses.
Vielleicht mußten sie überhaupt nicht darüber reden. Vielleicht war es das, was
sie sagen wollte.
    Sie hatte gewußt, daß er etwas hatte
sagen wollen, und sie dachte, sie wüßte, was es war, aber sie wollte es nicht
hören. Nicht hier. Nicht, wenn sie neben ihm in der Sonne stand, auf einer Brücke
über der Seine.
    Im Geiste hörte sie Bryan Ferrys
schwermütige Stimme:
     
    The île de France with all the gulls around it,
    The beauty that is spring’s,
    These foolish things
    Remind me of you ...
     
    »Mehr Alkohol«, sagte sie und hakte
sich bei ihm ein, als sie sich zum linken Ufer wandten. »Noch viel mehr
Alkohol...«
     
    Er starb um neun Uhr früh, kurz
nachdem Mummy und Pic angekommen waren. Es war, als hätte er auf sie gewartet.
    Ginger und Guy kamen ein paar Minuten
später dort an. Sie wußte, daß etwas nicht stimmte, weil die Tür zu seinem
Zimmer geschlossen war, und vorher war sie immer offen gewesen.
    Als er im Koma lag, hatte sie gedacht,
er würde tot aussehen, aber jetzt sah sie, daß es nicht so gewesen war.
Menschen, die noch am Leben waren und aussahen wie der Tod, schauten in
Wirklichkeit gar nicht so aus. Nur tote Leute sahen wirklich tot aus. Sein
Körper schien schon geschrumpft zu sein. Den Mann, der er einmal gewesen war,
gab es nicht mehr.
    Sie war die einzige, die weinte, und
es war merkwürdig, die Arme ihrer Mutter um sich zu fühlen, während Pic mit Guy
aus dem Zimmer ging, und den seltsam vertrauten Pudergeruch ihrer Haut zu
riechen. Es war der Geruch einer alten Dame. Es erinnerte sie an Hermione.
    »Könnte ich einen Augenblick mit ihm
allein sein?« fragte sie, als sie sich wieder ein wenig beruhigt hatte.
    Ihre Mutter ließ sie los und ging
schweigend aus dem Zimmer.
    Ginger lief zum Bett und nahm seine
Hand. Sie war noch warm, aber es war keine Muskelspannung in ihr, nur Haut und
Knochen. Sie erinnerte sich lebhaft daran, als sie ihn vor seiner Operation
besucht hatte, wie er ihre Hand schnell und fest gedrückt hatte, als sie ging,
wie ein Geheimzeichen zwischen ihnen, ein Freimaurergruß, der bedeutete, daß er
sie liebte, es aber nicht sagen konnte. Und sie war zu stolz gewesen zu sagen,
daß sie ihn auch liebte.
    »Ich liebe dich, Daddy«, sagte sie
jetzt zu ihm. »Das hast du doch gewußt, oder?«
    Sie konnte fühlen, wie seine Hand
langsam kalt wurde. Sein Gesicht blieb schlaff, die Augen geschlossen. Er würde
sie nie wieder öffnen und »Buh!« sagen.
    Wie sehr sie sich geirrt hatte, als
sie dachte, daß sie über seinen Tod Erleichterung verspüren würde. Für
Erleichterung war in ihren Gedanken kein Platz. Alles, was sie empfand, war
umfassende, überwältigende Trauer, und die Tränen strömten ihr übers Gesicht
und tropften auf seine tote, schlaffe Haut. Lange Zeit stand sie da und hörte
nur ihr Schluchzen und dann eine Art anschwellende Stille, als die Tränen
langsam versiegten. Dann, urplötzlich, nahm sie den Rest der Welt wieder wahr,
als ein vertrautes, freudiges Glucksen die Luft durchschnitt. Jemand kitzelte
Guy.
    Es schienen bemerkenswert wenige
Formalitäten nötig zu sein. Daddys Leiche wurde ins Leichenschauhaus geschoben,
wo sie später abgeholt würde, und nach ein paar respektvollen Schweigeminuten,
in denen sie sich alle fragten, was sie jetzt um Himmels willen tun sollten,
schlug Mummy vor, daß sie sich in die Kantine begeben könnten.
    Nach der Trauer schien sich eine Wolke
der Euphorie auf die drei Frauen zu legen. Sie fingen an, miteinander zu
schwatzen, sich an seine guten Seiten zu erinnern. Sie tauschten Anekdoten aus
und lachten viel. Hin und wieder hielt eine von ihnen mitten im Kichern inne
und sah traurig und würdevoll aus, aber die ernste Stimmung hielt nicht lange
an. Die Erinnerungen sprudelten nur so aus ihnen heraus, und sie überboten sich
gegenseitig mit ihrer guten Laune.
    Irgendwann kam Stephen an ihren Tisch,
um ihnen sein Beileid auszusprechen.
    »Ich danke Ihnen vielmals«, sagte
Mummy. »Wir haben uns gerade darüber unterhalten, wie...« Und sofort gab sie
die Geschichte von Daddies Streich beim Puntfahren zum besten, als er noch

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