Keine große Affäre
in
Cambridge war.
Ginger sah Stephens Gesichtsausdruck.
Er bemühte sich, höflich zu sein, versuchte jedoch, sich nicht ins Gespräch
verwickeln zu lassen. Und plötzlich kehrte sie in die Wirklichkeit zurück, in
die reale Welt mit Pommesgeruch und Besteckklappern. Das Krankenhaus bereitete
sich aufs Mittagessen vor.
»Stephen... der Professor will das gar
nicht hören, Mummy«, sagte sie sanft.
Mit perfekten Manieren entschuldigte
er sich und wandte sich ab, aber Ginger sprang auf und folgte ihm.
»Tut mir leid...«, sagte sie.
»Das muß Ihnen nicht leid tun«, sagte
er zu ihr. »Sie muß jetzt reden, und wir müssen uns Zeit dafür nehmen.«
Doch Ginger merkte, daß er für ihr
Eingreifen dankbar war.
»Ich wollte Ihnen nur von Anouska
erzählen«, sagte sie und merkte, daß sie genauso schlimm war wie ihre Mutter.
Sie hielt ihn auf, obwohl er nach Hause gehen wollte. »Sie hatten recht. Sie
behalten sie dort. Niemand scheint Lia etwas Sicheres sagen zu können, aber
sobald ich kann, werde ich es im Internet nachschlagen.«
»Überlegen Sie sich das gut«, warnte
Stephen sie mit besorgtem Gesicht. »Ich weiß, Sie sind anderer Meinung, aber
glauben Sie mir, manchmal ist es besser, wenn man nicht alle Details kennt...
Besonders, wenn man unter Schock steht. Wenn man alles über eine Krankheit
weiß, heißt das leider noch lange nicht, daß man sie heilen kann.«
Sie nickte und hörte ihm zu.
»Und Sie müssen auch auf sich selbst
aufpassen«, sagte er zu ihr, legte den Finger unter ihr Kinn und hob ihr
Gesicht zu sich hinauf, als würde er mit einem Kind sprechen. Es war eine so
gütige Geste, daß es ihr irgendwie nichts ausmachte. »Sie hatten an diesem
Wochenende schon zwei große Schocks zu verkraften, und Sie werden sehr gut
damit fertig, aber irgendwann wird die Zeit kommen, dann werden Sie nicht mehr
so gut damit klarkommen. Also passen Sie auf...«
»Das werde ich«, sagte sie gehorsam.
»Zwei große Schocks. Und es heißt doch, daß immer drei Katastrophen auf einmal
kommen.« Sie versuchte, unbeschwert zu klingen.
»Das ist ganz sicher statistisch nicht
erwiesen«, versicherte Stephen ihr mit einem Lächeln.
»Da haben Sie wahrscheinlich recht«,
gab sie zu.
»Na, dann auf Wiedersehen«, sagte er
und hielt ihr die Hand hin.
Sie schüttelte sie. »Auf Wiedersehen
und danke!« sagte sie und sah ihm nach, wie er den Korridor entlangging.
Plötzlich überkam sie das seltsame, traurige Gefühl, daß sie ihn nie
wiedersehen würde.
Daddy ist gegangen, und jetzt denke
ich, daß mich alle verlassen, sagte sie sich und versuchte vernünftig zu sein,
während sie zurück zu ihrer Mutter, ihrer Schwester und ihrem Sohn ging.
»Was willst du jetzt machen, Mummy?«
fragte Pic gerade ihre Mutter. »Du kannst gern mit mir nach Swiss Cottage
kommen.«
»Nein, ich glaube, ich fahre nach
Hause«, antwortete ihre Mutter.
»Nach Hause? Aufs Land? Jetzt?« fragte
Ginger, während sie sich wieder setzte.
»Ich denke ja«, sagte ihre Mutter.
»Ich muß ein paar Vorbereitungen treffen.«
Sie wühlte in ihrer Handtasche und zog
schließlich ihr Portemonnaie heraus. Dann fiel ihr ein, daß sie sich in einer
Cafeteria befanden, bereits bezahlt hatten, und es keinen Kellner gab, von dem
man die Rechnung verlangen konnte.
»Möchtest du, daß ich mit dir komme?«
fragten beide Töchter pflichtbewußt.
»Nein, ich glaube, ich möchte mich
allein an ihn erinnern, wenn es euch nichts ausmacht«, sagte ihre Mutter,
steckte das Portemonnaie wieder in die Handtasche und nahm statt dessen eine
Brille heraus, die sie aus irgendeinem unerfindlichen Grund aufsetzte. »Ich
habe doch die Hunde... Und da sind eine Menge Leute, die sich um mich
kümmern...«
Keine von beiden wußte, was sie sagen
sollte. Es erschien ihnen nicht richtig, daß sie allein aufs Land zurückkehren
und bei einem Spaniel Trost finden sollte anstatt bei einer Tochter, aber es
war ihr Zuhause, und wenn sie es so haben wollte, wieso sollten sie sie davon
abhalten?
»Soll ich Tom Bescheid sagen, daß er
dich mit dem Auto abholen soll?« fragte Pic und meinte den Mann, der Mummys
Fahrer und Butler war und auch im allgemeinen für den Haushalt verantwortlich
war.
»Nein, nein, ich nehme den Zug. Du
kannst ihn anrufen und ihm sagen, daß er mich am Bahnhof abholen soll.«
»Aber natürlich«, willigte Pic ein.
»Dann bringe ich Mummy zum
Waterloo-Bahnhof«, sagte Ginger zu Pic. »Das liegt auf meinem Heimweg.«
Neil erinnerte sich daran, daß sie
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