Keine große Affäre
Flugbahn, und mit einem Rascheln fiel die Kugel
langsam hinein.
Als sie zurückkam, saß Margaret am
Eßzimmertisch. »Der Spaziergang hat dir gutgetan«, sagte sie lächelnd, als sie das
gerötete Gesicht ihrer Tochter sah.
»Ich hab Pommes gegessen«, sagte
Alison zu ihr.
»Das dachte ich mir schon. Ich habe
dir im Ofen etwas warmgehalten, aber ich hatte solchen Hunger, daß ich nicht
auf dich gewartet habe.«
Es wäre so einfach, die Bemerkung
ihrer Mutter jetzt als Kritik aufzufassen, aber das würde sie nicht tun. Vergiß
die Vergangenheit, sagte Alison sich und setzte sich an den Tisch.
»Möchtest du etwas trinken?« fragte
sie Margaret, entschlossen, positiv zu sein.
»Jaa! Gute Idee!« rief ihre Mutter
begeistert aus. »Schau nach, was ich da habe. Ich hole ein paar Gläser.«
»Nein, ich hole sie. Bleib du nur
sitzen«, sagte Alison.
Sie goß sich einen Gin Tonic ein, und
ihrer Mutter ein großes Glas süßen, weißen Wermut mit Eis und Limonade.
»Das ist schön«, sagte ihre Mutter.
Sie probierte und erschauderte genüßlich. »Das ist eine Sache, die ich
vermisse, seit dein Vater nicht mehr da ist — daß ich nichts trinken kann.«
»Wieso denn nicht?« fragte Alison und
setzte sich ihr wieder gegenüber.
»Es ist nicht gut, wenn man allein
trinkt«, sagte Margaret, und Alison erinnerte sich daran, wie sie zu Hause am
Tisch gesessen hatte, ein Glas Cinzano Bianco vor sich, und wie ihre Augen aus
Vorfreude auf ein bißchen Klatsch gefunkelt hatten. Hatte sie damals ein
Alkoholproblem gehabt? Das war ihr noch nie in den Sinn gekommen.
»Trinkst du nicht mal was mit
Freunden?« fragte sie.
»Ach, abends nicht. In meinem Alter
wird man abends nicht mehr so oft eingeladen«, antwortete ihre Mutter.
»Besonders als Witwe.« Sie zwinkerte ihrer Tochter zu und nahm noch einen
Schluck.
Ihr Blick war so frech gewesen, daß
Alison sich überlegte, ob ihre Mutter für eine Bedrohung gehalten wurde. Sie
war immer noch eine gutaussehende Frau, die sich schick kleidete und auf ihre
Figur achtete. Vielleicht galt sie unter den Greisen der Südküste als femme
fatale. Über manche Dinge wußte sie lieber nicht so genau Bescheid.
Sie fand ihre Handtasche und nahm sich
eine Zigarette heraus. »Stört es dich? Vor Ben rauche ich nicht«, sagte sie und
entschuldigte sich schnell. »Ich darf zu Hause überhaupt nicht rauchen — was
wahrscheinlich sehr gut ist«, erinnerte sie sich selbst.
»Wenn ich auch eine bekomme, stört es
mich nicht«, antwortete ihre Mutter.
Erstaunt zog Alison eine Zigarette aus
dem Päckchen und gab sie ihr. Das wurde ganz offensichtlich der Abend der
Enthüllungen. »Ich dachte, du hättest schon Vorjahren aufgehört«, sagte sie.
»Ich wußte nicht einmal, daß du das
wußtest«, antwortete Margaret überrascht. »Ich habe nie zu Hause geraucht.«
»Nein, aber ich habe dich von meinem
Schlafzimmerfenster aus gesehen.«
Margarets Augenbrauen gingen nach
oben. Dann steckte sie sich die Zigarette an und stieß den Rauch durch die
Nasenlöcher aus wie eine Frau in einem Film aus den vierziger Jahren.
»Ich habe es nur geschafft aufzuhören,
weil ich mir selbst versprochen habe, daß ich wieder anfangen kann, wenn ich
siebzig werde«, enthüllte sie. »Und bis vor einer Minute hatte ich das ganz
vergessen.«
»Dann hast du also eine ganze Weile
nicht geraucht?« fragte Alison.
»Ungefähr zwanzig Jahre«, antwortete
Margaret.
Alison lachte. »Hätte ich das gewußt,
hätte ich dir keine gegeben...«, sagte sie zu ihr.
»Ich würde ja gern sagen, daß es mir
gar nicht mehr schmeckt«, sagte Margaret und inhalierte. »Aber es ist genauso
gut wie damals.«
Sie kicherten wie ungezogene
Schulgören auf einer verbotenen Mitternachtsparty. Alison stand auf und schloß
die Tür, damit der Qualm nicht in Bens Zimmer zog, und dann schenkte sie neu
ein und brachte aus der Küche einen Teller mit, auf den sie die Asche schnipsen
konnten.
»Es ist wie in alten Zeiten«, sagte
ihre Mutter und lächelte sie an.
Instinktiv wich Alison zurück. Das
hatte sie nicht gewollt. Sie sollte doch die Vergangenheit vergessen, anstatt sie
noch einmal zu durchleben, am allerwenigsten in einem vertrauten Gespräch mit
ihrer Mutter. Aber vielleicht mußte man manchmal die Vergangenheit
herauskramen, sie einmal gut durchschütteln und sie sich noch einmal besehen.
Das war ihre Chance, ihre letzte Chance, bevor das wahre Leben wieder begann.
»Ich bin neulich Neil Gardner
begegnet.«
Die Worte
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