Keine große Affäre
Pause mehr zu. »Heutzutage esse ich mindestens einmal pro
Woche welche aus der Tiefkühltruhe. Und zum Nachtisch hatten wir Profiteroles,
eine Riesenmenge, mit Schokoladensauce und Sahne. Und wo sind wir dann hin?
Vielleicht zu Harrod’s, zu Way In in der obersten Etage. Kein Wunder, daß du
einen so teuren Geschmack hast — ich fürchte, das ist alles meine Schuld!«
Sie lächelte ihr über den Tisch zu,
stolz auf sich selbst, eine so gutgekleidete Tochter großgezogen zu haben.
»Ja, das stimmt, alles deine Schuld!«
wiederholte Alison und lächelte zurück.
Frühmorgens war der Sand noch so kühl,
daß sie darin spielen konnten. Am ersten Tag war Anouska mißtrauisch gewesen,
als sie die ungewohnte Substanz an der Haut spürte. Deshalb hatte Neil sie auf
ein Handtuch gesetzt und eine Burg gebaut, die so groß war wie sie. Fasziniert
hatte sie beobachtet, wie sie größer wurde, und schließlich allen Mut
zusammengenommen und draufgehauen. Am nächsten Tag war sie mutiger gewesen,
hatte den Sand mit den Händen geschaufelt und zugesehen, wie die Körner durch
die Finger rieselten, und sehr bald mochte sie Sand so gern, daß sie ihn essen
wollte.
»Nicht in den Mund nehmen, Annie«,
sagte er sanft zu ihr, und sie sah ihn mit zitternder Unterlippe an, weil es
ihr nicht gefiel, wenn man nein sagte. Aber sie verstand. Neun Monate alt, und
sie verstand, was er sagte!
Er konnte jetzt mit ihr sprechen.
Anfangs hatte Lia es gekonnt, aber er nicht. Es war ihm peinlich gewesen, mit
einem winzigen Wesen zu reden, das nicht den geringsten Anschein erweckte, daß
es irgend etwas von dem hörte, was er sagte. Es war, als würde man Selbstgespräche
führen. Aber jetzt war es ihm egal, was andere Leute dachten.
»Hier, nimm das.« Er gab ihr eine
Minischaufel. Sie schlug damit auf den Boden wie mit einem Trommelstock.
»Genau, bong, bong!« Er lächelte sie
an, und sie lächelte zurück.
»Baba!« sagte sie.
»Was? Sag das nochmal«, ermutigte er
sie. Er konnte nicht glauben, daß er sie sprechen gehört hatte.
Mit fest geschlossenem Mund sah sie
ihn an, und ihr Blick sagte, na, du hättest eben zuhören müssen.
»Sag es noch mal!« drängte er sie.
Sie haute wieder mit der Schaufel in
den Sand.
»Na gut, wie du willst«, sagte er
lächelnd und sah auf die Uhr. Neun. In der Sonne wurde es schon warm. Er
sammelte Ei-merchen und Schaufeln zusammen, packte sie in die Strandtasche und
schwang sie über die Schulter. Dann bückte er sich und nahm Anouska hoch. Er
warf sie in die Luft und fing sie wieder auf. Sie war federleicht, aber sie
hatte das kehlige, atemlose, unkontrollierte Lachen älterer Kinder, wenn sie
gekitzelt werden. Das Geräusch machte ihn glücklich.
Er küßte sie auf die Wange.
»Komm, Frechdachs, wir sehen nach, ob
Mummy schon auf ist«, sagte er.
Man konnte es nicht gerade als
Ausschlafen bezeichnen, dachte er, aber wenigstens waren es zwei Stunden mehr,
als sie zu Hause bekam.
Lia beobachtete sie vom Balkon aus. Sie
winkte ihnen zu. Neil zeigte auf sie und forderte Anouska auf, ihr zuzuwinken,
und als sie es nicht tat, nahm er ihren Arm und winkte damit. Es war eine gute
Idee gewesen, nach Portugal zu fahren, dachte sie. Das Leben war hier
einfacher. In dem geräumigen, kühlen Apartment, das Luis ihnen für die Woche
gegeben hatte, und bei der warmen Brise, die vom Meer hereinwehte, hatte sie
schlafen können. Wenn man sich ausruhen konnte, kam einem alles leichter vor.
Sie stellte fest, daß sie zum ersten Mal seit Wochen in Ruhe nachdenken konnte,
und es dämmerte ihr, daß sie sich in Neils Haus nie wohl gefühlt hatte, selbst
ganz am Anfang nicht. Hier wechselten sie sich mit Kochen, Abwaschen und
Badputzen ab. In London war das allein ihre Aufgabe. Es war nur gerecht, weil
er arbeitete, aber sie hatte sich nie gleichberechtigt gefühlt. Sie war zu
einem Untermieter geworden, abhängig von seinem Einkommen und seinem
Wohlwollen. Sie hatte sich vorher noch nie von jemandem abhängig gemacht. Falls
wir zusammenbleiben, dachte sie, muß das anders werden. Falls.
Als sie in dem Dorf am Meer angekommen
waren, hatte sie sich gefühlt, als käme sie nach Hause. Die Menschen hier waren
warm und körperbetont. Sie starrten Anouska nicht durchs Fenster des gemieteten
Seat an, wie es die Leute in England getan hätten. Statt dessen rissen sie die
Autotür auf, zwickten Annie in die Wangen, hoben sie heraus und warfen sie in
die Luft. Was für ein wunderschönes kleines Mädchen! Genau wie
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