Keine große Affäre
klangen seltsam. Sie waren
so lange weggeschlossen gewesen, daß sie staubig waren, und sie blieben ihr im
Hals stecken.
»Wirklich? Wie geht es ihm?« fragte ihre
Mutter und hielt ihre Stimme absichtlich weiterhin neutral.
»Gut... Er hat ein Kind, das so alt
ist wie Ben.«
»Wirklich? Was für ein Zufall.«
Margaret bemühte sich, desinteressiert zu klingen, aber die Luft um sie herum
surrte vor Erregung.
»Du hast übrigens seine Frau
kennengelernt. Lia.«
Ihre Mutter dachte einen Moment nach.
»Die wunderschöne Frau?«
Alison durchfuhr ein Eifersuchtsblitz.
Es war jämmerlich, mit achtunddreißig immer noch eifersüchtig zu sein, wenn die
eigene Mutter jemandem ein Kompliment machte.
»Ja, das ist sie, ziemlich schön«,
stimmte sie lebhaft zu.
»Sie schien sehr nett zu sein«, sagte
ihre Mutter.
»Ja, das ist sie...«, sagte Alison und
drückte ihre Zigarette aus.
Sie beschloß, nichts mehr zu sagen.
»Ich nehme an, er ist ein attraktiver
Mann. Er war so ein gutaussehender Junge...«
Einen Augenblick lang war sie sich
nicht sicher, ob Margaret wußte, über wen sie überhaupt sprachen. Gutaussehend?
Margaret hatte ihn abgrundtief gehaßt. Gutaussehend?
»Ja, ich denke, das ist er immer
noch«, sagte sie und goß sich Gin nach. »Übrigens habe ich mich gefragt, warum
du ihn so sehr gehaßt hast.«
Das »übrigens« verriet, daß die Frage
nicht ganz so beiläufig war, wie sie scheinen sollte.
Ihre Mutter warf ihr einen langen,
harten Blick zu.
»Abgesehen vom Offensichtlichen
natürlich«, fügte Alison schnell hinzu. »Ich meine davor. Du warst schon immer
gegen ihn...« Sie sah sich im Zimmer um, auf die Uhr, den Kaminsims, die Photos
mit Silberrahmen, überallhin, damit sie ihrer Mutter nicht in die Augen schauen
mußte.
»Ich habe es gehaßt, welchen Einfluß
er auf dich hatte«, antwortete Margaret schließlich seufzend. »Wenn du es
wirklich wissen willst, du warst ziemlich albern, wenn du mit ihm zusammen
warst, genau wie es auf den Problemseiten dieser gräßlichen Zeitschriften
stand, auf die diese Freundin von dir, Sally, so scharf war. Er war nicht so
intelligent wie du, und du hast versucht, dich dümmer zu geben, als du warst,
damit er sich besser fühlte.«
»Ach, das stimmt doch gar nicht«,
protestierte Alison sofort.
»Ach, natürlich«, sagte Margaret zu
ihr. »Glaub mir, ich habe es wiedererkannt. Ich hatte denselben Fehler gemacht,
und ich wollte nicht, daß auch du dein Leben wegwirfst.«
»So war es nicht...«, sagte Alison, aber
irgendwo in ihrem Inneren wußte sie, daß es stimmte.
Sie hatte es nicht so in Erinnerung,
aber in den letzten Wochen war ihr aufgefallen, daß sie so einiges falsch in
Erinnerung hatte. Sie hatte vergessen, daß Neil sich in bedrohliches Schweigen
zurückzog, wenn ihm etwas nicht paßte. Sag mir, was es ist, hätte sie ihn in
Paris am liebsten angeschrien, aber sie hatte sich nicht getraut, weil sie, wie
ihre Mutter ganz richtig behauptete, in seiner Gegenwart zu einem albernen,
nervösen Mädchen wurde, das zuviel redete.
Sie dachte an ihre gemeinsame Zeit.
Neil fühlte sich wohler mit ihr, wenn sie litt oder weinte, als wenn sie in
Hochstimmung war und kluge Dinge sagte. Ihm gefiel das, was sie gewesen war,
nicht das, was aus ihr geworden war. Sie verunsicherte ihn, und sie versuchte,
das zu kompensieren, weil ein Teil von ihr sich für seine Unsicherheit
verantwortlich fühlte. Sie hatte ihn ohne jede Erklärung verlassen, als er noch
ein Junge war, und das mußte sich auf sein Leben ausgewirkt haben.
Sie dachte daran, wie sie sich in der
Wohnung geliebt hatten, an das überwältigende Verlangen, von ihm dominiert zu
werden. Arme und Beine gespreizt, festgebunden, unterwürfig. Es war, als hätte
sie sich als Opfer dargeboten. Es war erregend gewesen, ihm ausgeliefert zu
sein, fast schockierend, doch danach hatte sie sich immer seltsam gefühlt,
nicht wie sie selbst.
Die beiden Frauen zündeten sich noch
eine Zigarette an. Das Zimmer füllte sich mit Qualm, unbeantworteten Fragen und
Gedankenfetzen.
Schließlich hörte Alison sich sagen:
»Mum, sind wir zusammen in Biba gewesen?«
Das Gesicht ihrer Mutter erhellte sich
vor Erleichterung darüber, daß das seltsame, bedeutungsschwangere Schweigen ein
Ende gefunden hatte.
»Natürlich! Ich habe dir dieses
violette Kleid geschenkt, weißt du nicht mehr? Wir haben im Spaghettihaus
Mittag gegessen — Cannelloni. Das war damals noch ganz exotisch«, schwatzte sie
weiter und ließ keine
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