Keine große Affäre
bleiben und zuzusehen, wie sie litt,
unter Schmerzen litt, die er niemals würde ertragen müssen. Und dann, ganz
plötzlich, war es vorbei. In der einen Minute schrie sie noch um Hilfe, an der Schwelle
des Todes, in der nächsten war sie völlig ruhig und blickte mit einem
wunderschönen Lächeln im Gesicht auf den blutverschmierten Säugling. Aber die
Furcht war ihm geblieben, und er schien sie nicht abschütteln zu können.
Er legte sich auf den Abhang, starrte
in den wolkenlosen blauen Himmel und versuchte zu empfinden, was er glaubte,
empfinden zu müssen. Aber er fühlte sich nur müde und durstig, als ob er lange
geweint hätte. Er setzte sich auf, atmete tief durch und zwang sich dann,
wieder hineinzugehen. Er sagte sich, daß alles wieder in Ordnung käme, sobald
er Lia und das Baby mit nach Hause nehmen konnte.
In dem Privatzimmer am anderen Ende
der Station war eine Party im Gange.
»Ich habe beschlossen, daß du sein
Pate wirst, Robert«, sagte Ginger und summte laut die Musik aus dem Film.
»Solange du hoch und heilig versprichst, dich aus seiner Sexualerziehung
rauszuhalten.« Sie nahm noch einen Schluck Champagner aus dem kegelförmigen
Pappbecher, den sie von dem Stapel beim Wasserspender geklaut hatte.
»Also ehrlich, Ginger«, unterbrach Pic
sie. »Findest du, daß du trinken solltest?«
»Ich bin nicht krank, ich hab nur
gerade ein Baby gekriegt«, erwiderte Ginger scharf.
»Schon, aber geht der Alkohol nicht in
deine Milch?«
»Gott, daran habe ich nicht gedacht.
Glaubst du? Ach zur Hölle, er muß sich sowieso irgendwann dran gewöhnen«, sagte
Ginger und streckte Robert ihren Becher hin, um sich nachschenken zu lassen.
»Und wieso wird mir diese große Ehre
zuteil?« fragte Robert sarkastisch.
»Weil du der einzige Freund bist, der
die Geistesgegenwart hatte, mir einen Haufen Champagner zu kaufen und nicht
solche gräßlichen blauen Blumen.« Ginger gestikulierte in Richtung der Körbe
voll Nelken und Iris, die auf der Fensterbank in der Hitze vor sich hin
welkten. »Oh, Pic, entschuldige«, fügte sie hinzu, als sie das verletzte
Gesicht ihrer Schwester sah. »Ich weiß, du hast die, die du geschickt hast,
nicht selbst ausgesucht, und so was Süßes wie die Babykleidung, die du gekauft
hast, habe ich noch nie gesehen, ehrlich.«
Pic lächelte erleichtert. »Sei nicht
albern«, sagte sie und sah auf die Uhr. »Ich muß jetzt gehen, aber ich komme
morgen um zehn wieder. Ich habe den ganzen Tag frei bekommen — Tantenurlaub!
Bye, kleiner Guy«, sagte sie zu dem schlafenden Baby, küßte ihren Finger und
berührte damit seine Wange.
»Ich glaube, für mich ist es auch
Zeit«, sagte Robert und nahm seine Zeitung.
»Oh nein, du darfst noch nicht gehen«,
jammerte Ginger. »Tu so, als wärst du der Vater. Die dürfen bis acht bleiben.«
»Würde mir das denn jemand abnehmen?«
antwortete Robert mit seiner tuntenhaftesten Stimme und sah auf seinen
karierten Anzug mit kurzen Hosen, den heterosexuelle Männer einfach nicht
tragen würden. »Wo wir schon von Vätern sprechen«, fügte er boshaft hinzu. »Hat
er dich jemals angerufen?«
»Stell dir vor, das hat er, vor ein
paar Wochen«, antwortete Ginger.
»Dabei erinnere ich mich ganz deutlich
daran, daß du gesagt hast, nach One-Night-Stands rufen Männer nie an«, ulkte
Robert.
»Psst, nicht vor dem Kind! Na ja, es
war fast neun Monate später, das fällt nicht mehr unter die gesetzlichen
Einschränkungen...«
»Was willst du ihm sagen?« fragte
Robert und sah das Baby mit einer Art nervösen Neugier an.
Das war eine der wenigen Situationen,
dachte Ginger, in denen Robert nicht wußte, wie man sich korrekt verhält.
Sollte er das Baby hochnehmen, küssen, anfassen oder einfach ignorieren? Es war
ziemlich süß, ihn so unentschlossen zu erleben.
»Wem?«
»Meinem Patenkind.«
Ȇber Charlie? Keine Ahnung. Mir wird
schon was einfallen«, sagte Ginger und hielt ihm noch einmal ihren Becher hin.
»Du lieber Himmel, du klingst plötzlich so verantwortungsvoll. Du kannst nicht
sein Pate werden, wenn du ein alter Langweiler wirst, merk dir das.«
Obwohl sie es hinter dem leichten
Geplänkel versteckte, war sie verärgert. Robert war wirklich der letzte, von
dem sie erwartet hätte, daß er bei der Feier einen ernsten Ton anschlagen
würde.
»Was hat er denn gesagt?« fragte
Robert.
»Wer?« fragte sie zurück.
»Der Vater.«
»Ich wünschte wirklich, du würdest
aufhören, ihn so zu nennen«, sagte Ginger aufgebracht. »Er
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