Keine halben Küsse mehr!: Roman (German Edition)
dass man weit vorteilhafter erscheint, als man in Wirklichkeit ist. Und wenn man sich dann ein zweites Mal trifft, kommt es einem wie ein Blind Date vor, so wenig scheint man den anderen zu kennen – abgesehen von dem wenigen, was man noch von seinem hektischen, neunzigsekündigen Monolog im Kopf behalten hat.
Sally, die gar nicht erst ihre Zeit mit müßigem E-Mail-Geplänkel vergeuden wollte, hatte mutig beschlossen, sich sogleich mit den infrage kommenden Kandidaten zu einem Tête à tête zu treffen. Leider stellte sich bei näherer Betrachtung heraus, dass allesamt vollkommene Fehlschläge waren. Der Erste – Webmaster Marius – schien überhaupt keine Beine zu besitzen und stank nach Zigarren. Sie verbrachten den ganzen Abend damit, über etwas zu reden, was Sally immer für einen Ort in Indonesien gehalten hatte. Besser gesagt, Marius redete. Die arme Sal überlegte derweil fieberhaft, wie sie verschwinden könnte. Am Ende rief sie mich übers Handy an, um sich nach »Howard« zu erkundigen, ihrem frisch erfundenen Bruder, der zwecks Kinnoperation in einer Schönheitsklinik weilte. Offenbar hatte ich ihr mitgeteilt, dass sich sein Zustand verschlimmert habe, denn sie begann herzzerreißend ins Telefon zu schluchzen und sagte, sie würde sofort kommen. Was ihr nächstes Rendezvous betrifft, habe ich strikte Anweisung, sie zu einem bestimmten Zeitpunkt anzurufen, falls sie einen zweiten »familiären Notfall« braucht, um sich von endlosen Erörterungen über Java loszueisen. In solchen Fällen müssen wir Mädels einfach zusammenhalten.
Als Nächstes traf sie sich mit Ken – einem ihrer »Kreuzchen« – und war aus diesem Grunde voller Hoffnungen. Sie freute sich auch sogleich, als sie merkte, dass Ken zweimal hinsehen musste, als er sie sah – äußerst schmeichelhaft, wie sie fand. Leider stellte sich wenig später heraus, dass Ken nur deshalb zweimal hingeschaut hatte, weil er Namen und Kreuzchen durcheinander gebracht und jemand ganz anderen erwartet hatte. Nachdem sie sich etwa zehn Minuten lang total verkrampft unterhalten hatten, entschuldigte er sich und verschwand in der Männertoilette – und ward hinfort nicht mehr gesehen. Als ich schließlich anrief, war Sally bereits allein und wartete gewissenhaft auf Kens Rückkehr vom Klo.
Einfach erstaunlich, dass sie sich das alles noch mal antun will. Ich weiß nicht, wo sie den Mut dazu hernimmt. Oder warum sie überhaupt zu solchen Mitteln greift – sie ist hübsch, charmant, intelligent, erfolgreich – ein rundum wunderbares Mädchen. Aber sie beharrt darauf, dass die Zeit für sie allmählich knapp wird, dass der Mann ihres Lebens nicht einfach in der Buchhaltung auftauchen oder neben ihr im Bus sitzen wird... »Ich kann nicht den Rest meines Lebens in meiner Wohnung herumhocken und darauf warten, dass der Postbote oder der Pizzamann sich als die Liebe meines Lebens rausstellen«, ist ihr Kredo.
Daher fühlt sie sich also bemüßigt, auf die Beine zu kommen und nach IHM zu suchen – die Liebe zu erzwingen, wenn man so will. Mich überzeugt das nicht so recht, aber vielleicht hat meine Schwester Lauren ja Recht und ich bin tatsächlich eine Gefangene meiner romantischen Hirngespinste. Oder vielleicht ist Sallys Einstellung ja der Aufhänger, den wir für die Kampagne brauchen? »Das Leben ist zu kurz, um herumzusitzen und auf Mr. Right zu warten«, oder so was in der Art. Aber das ist doch zu abgedroschen, das ist doch sicher schon tausendmal thematisiert worden. Nein, ich muss mir was Besseres einfallen lassen, ich habe keine Wahl.
Und dies bedeutet, dass ich gezwungen bin, ein zweites Mal hinzugehen, mit Sally an meiner Seite, die nach wie vor unbeirrt daran glaubt, auf diese Weise den Richtigen zu finden. Immerhin haben wir beschlossen, es diesmal geschickter anzufangen und die Fehler des ersten Mals zu vermeiden. Duncan trifft sich, so unglaublich es klingt, seit neuestem mit der Schwester von Max’ Freundin, Sara-Jayne. Er hält es jetzt für unter seiner Würde, noch mal an einem Fast-Love-Abend teilzunehmen, auch wolle er »SJ« nicht »untreu« sein, wie er behauptet. Deshalb gehen diesmal Sally und ich alleine hin, nur wir Mädchen. Wir haben beschlossen, morgen Abend, bei unserem zweiten (und hoffentlich letzten) Besuch ganz methodisch vorzugehen. Das Wichtigste ist fraglos, das Männerangebot besser zu verarbeiten. Zu diesem Zwecke haben wir ein paar »Tipps« ausgearbeitet. Zu erwähnen bleibt noch, dass der Abend ein
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