Keine Lady ohne Tadel
Gehörte, während sie sich mitschleifen ließ.
»Da, sehen Sie«, sagte Bea triumphierend und nicht ganz so leise, wie Helene für angemessen gehalten hätte, »eben gerade schaut er auf!«
Doch Stephen, so schien es Helene, betrachtete lediglich ihre Begleiterin, wenn auch mit einer Miene starken Abscheus. Sie schluckte und knickste vor Stephen Fairfax-Lacy. »Sir«, sagte sie. Bea hatte sich entfernt, ohne Mr Fairfax-Lacy auch nur zu begrüßen.
Er lächelte von seiner Höhe herab, und wieder einmal wurde Helene bewusst, wie gut er aussah. Auf seinen Wangen war nicht die Spur eines Härchens zu sehen, ganz im Gegensatz zu ihrem Ehemann, dessen Gesicht abends von einem Bartschatten verunziert wurde.
»Wie geht es Ihnen?«, erkundigte er sich.
»Ganz gut.«
Einen Augenblick herrschte Schweigen. Helene überlegte angestrengt, worüber sie mit ihm reden könnte. »Haben Sie heute die Zeitung gelesen?«, fragte sie schließlich. »Napoleon ist von Elba geflohen und befindet sich schon wieder in Frankreich! Aber das französische Heer wird ihn doch wohl nicht noch einmal unterstützen?«
»Ich halte Ihre Einschätzung für vollkommen richtig, Lady Godwin«, sagte Stephen und wandte den Blick ab. Er hatte sich für ein sehr, sehr langsames Vorgehen in diesem Spiel entschieden, damit er sie nicht erschreckte.
Helene wurde immer verlegener. Wie hatte sie jemals auf die Idee kommen können, sie könnte einen Mann verführen? Sie war ja nicht einmal in der Lage, ein simples Gespräch aufrechtzuerhalten.
»Was halten Sie davon, dass die Katholiken keinen Sitz im Parlament erhalten?«, fragte sie.
Stephen blinzelte verblüfft. Auf philosophische Erörterungen war er nicht gefasst gewesen. »Ich bin schon seit Langem der Meinung, dass dieses Verbot überdacht werden sollte«, antwortete er zögernd.
»Ich glaube, es hat etwas mit den Formulierungen des Eides zu tun, den sie dafür ablegen müssen. Würde es nicht ihre religiösen Gelübde verletzen, wenn sie sich vor dem Parlament vereidigen ließen?«
»Den meisten Männern, die ich kenne, bedeuten diese Eide nicht das Geringste«, erwiderte Stephen.
Helene hörte leichte Bitterkeit heraus und war verblüfft. Warum war Mr Fairfax-Lacy wirklich nach Wiltshire gekommen?
»Warum sollten wir von Katholiken oder Juden größere Besonnenheit erwarten als von Anglikanern?«, fuhr er fort.
»Wer sich in diesem Land mit seiner anglikanischen Vergangenheit als Katholik niederlassen will, muss wohl einen tieferen Glauben haben als der durchschnittliche englische Gentleman«, sagte Helene mit Nachdruck. Allmählich machte ihr das Gespräch Spaß. Er schaute sie nicht verlangend an, sondern begriff sie als gleichwertige Gesprächspartnerin.
Doch sie wartete vergeblich auf seine Erwiderung. Ihr schien, als spähe er über ihre Schulter.
»Mr Fairfax-Lacy!«, sagte Helene mahnend.
Er fuhr zusammen. »Ja, Lady Godwin? Bitte verzeihen Sie.«
»Gibt es dort etwas Interessantes, das ich ebenfalls sehen sollte?«, fragte sie und schloss aus seinem wirklich reizenden Lächeln, dass sie nicht gekränkt zu sein brauchte.
»Es ist nur diese freche kleine Göre, Lady Beatrix«, erklärte Stephen. »Ich kann mir nicht vorstellen, warum Lady Withers dem Mädchen erlaubt, sich so unschicklich zu kleiden.«
Helene drehte sich um. Bea glitt durch den Salon auf sie zu.
Stephen fand, dass das Mädchen etwas von einer lästigen Mücke an sich hatte. Hier stand er und unterhielt sich mit einer gut informierten und klugen Frau, die eines Tages durchaus seine Geliebte werden könnte, und da war dieses kleine Biest schon wieder! Würde sich in diese faszinierende Diskussion über Parlamentseide mengen. Lady Beatrix schien die melancholische Pose vom Beginn des Abends fallengelassen zu haben. Sie wirkte auffallend exotisch und absolut künstlich. Und stark. Viel zu stark.
»Wissen Sie, dass ich diese Farbe nicht für ihre natürliche Haarfarbe halte?«, sagte er zu Helene. Er hörte förmlich den Groll in seiner Stimme. Warum in aller Welt ließ er es zu, dass dieses Mädchen ihm derart unter die Haut ging? »Beachten Sie diesen Bronzeton. Haben Sie in der Natur jemals eine solche Haarfarbe gesehen?«
»Aber warum sollte sie sich die Haare färben?«, fragte Helene interessiert. »Sie wird noch lange nicht grau werden.«
»Natürlich nicht!«, stimmte er ein wenig überhastet zu. »Sie ist ja kaum der Schule entwachsen.«
Der Meinung war Helene durchaus nicht. Beatrix Lennox war für ein
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