Keine Lady ohne Tadel
auftauchte.«
»Du hast ihren Mann umgebracht«, beharrte seine Mutter in einem Ton, der keine Widerrede duldete. »Du bist in das Zimmer eingedrungen, weil du das Bett deiner Herzogin gesucht hast – ach, komm mir doch nicht mit diesem Schnickschnack einer gefälschten Sondergenehmigung! Ich glaube nicht an das Gerede der Leute. Du hattest bereits mit der Herzogin ehelichen Umgang gepflogen, bist aber aus Versehen ins falsche Schlafzimmer geraten und auf einen Ehemann gestoßen. Und das nenne ich einen Mord! Zu meiner Zeit«, fügte sie mit grimmigem Triumph hinzu, »hat ein Mann sich vorher vergewissert, ob es das richtige Zimmer ist.«
Sebastian hätte ihr am liebsten eine Grimasse geschnitten. »Ich habe mich im Zimmer geirrt«, beharrte er stur, »und das hat leider unglückselige Folgen nach sich gezogen.«
»Aber warum in Dreiteufelsnamen musst du die Frau denn gleich heiraten? Ist das vielleicht nur die verworrene Vorstellung über die Begleichung einer Schuld? Wenn es so ist, dann sprich mal mit dem Vikar. Denn man kann das Dogma der Wiedergutmachung auch zu weit treiben, und ein Flittchen zu heiraten, bloß weil man dessen Mann umgebracht hat, kommt mir doch reichlich übertrieben vor!«
Sebastian seufzte und sah sich suchend im Zimmer um. Er hatte es satt, wie ein Schuljunge von seiner Mutter abgekanzelt zu werden. Sie thronte auf einem hochlehnigen Stuhl mit Klauenfüßen und Schlangenarmlehnen, den vielleicht der Prinzregent komfortabel finden mochte, und er stand immer noch vor ihr. Er entdeckte einen einigermaßen bequemen Stuhl in einer Ecke und schickte sich an, ihn zu holen.
»Was tust du da?«, bellte seine Mutter. »Ich habe dir nicht erlaubt, dich zu setzen, Bonnington!«
»Mein Name ist Sebastian«, entgegnete er, stellte den Stuhl entschlossen hin und setzte sich ihr gegenüber. »Mein Name ist Sebastian, und ich bin dein Sohn. Dein einziger Sohn. Mir wäre wirklich wohler zumute, wenn du nicht dauernd darauf herumreiten würdest, dass ich Lord Rawlings umgebracht habe. Er hatte ein schwaches Herz, und der Arzt hatte ihm nur noch bis Ende des Sommers gegeben. Es ist natürlich ein unglücklicher Umstand, dass ich die Ursache für seinen Anfall war … und ich würde alles dafür geben, nicht der Auslöser gewesen zu sein. Aber ich habe ihn nicht umgebracht.«
Die Marquise blinzelte verblüfft. Ihr stets höflicher, stets korrekter, fast schon langweiliger Sohn zeigte zum ersten Mal in seinem Leben Rückgrat. Sie wusste nicht, ob sie sich freuen oder entsetzt sein sollte.
Sie entschied sich für Letzteres.
»Der einzige Mann, den ich jemals mit Vornamen angeredet habe, war dein Vater«, sagte sie verächtlich, »und dies auch nur in sehr intimen Situationen. Du, Bonnington, bist mein Sohn, und solltest mir als solcher den größten Respekt entgegenbringen.«
Er neigte den Kopf. »Das tue ich, Mutter.« Dennoch blieb er sitzen. Sebastian hatte ihr Aussehen geerbt. In ihrer Jugend pflegten die Männer sich das Haar zu pudern und die Frauen trugen Schönheitspflästerchen. Es wäre jedoch zu schade gewesen, wenn Sebastian sich das Haar gepudert hätte. Er hatte ihre Haare geerbt, Haar von der Farbe der Sonne, wie Graham immer gesagt hatte. Natürlich hatte Graham selbst auch nicht schlecht ausgesehen. Ihr Sohn schaute sie aus den Augen seines Vaters an. Nach dem Tod ihres ersten Mannes hatte sie den schönsten Mann Londons geheiratet. Graham Bonnington war zwar kein gewandter Gesprächspartner gewesen, aber das hatte weder ihn noch sie gestört. Er hatte ihr stets zugehört. Denn sie hatte für beide genug zu sagen.
Sie stieß ihren Stock mit Nachdruck auf den Boden. Manche der jüngeren Bediensteten pflegten vor Schreck zusammenzufahren, wenn sie diesen Stock vernahmen, doch ihr Sohn betrachtete nur angelegentlich den Boden, als suche er nach verborgenen Ritzen. Die Marquise beschloss, wieder auf das Kernthema zu kommen.
»Du kannst keine Dirne heiraten, nur weil du irrigerweise glaubst, ihr gegenüber eine Verpflichtung zu haben. Die Bonningtons sind eine alte und ehrwürdige Familie. Zahle Lady Rawlings eine Entschädigung, wenn es unbedingt sein muss. Unser Vermögen kann das tragen.«
»Ich habe die Absicht, sie zu heiraten«, sagte Sebastian. »Aber nicht, weil ich mich dazu verpflichtet fühle.«
»Nein?« Sie legte in das Wort so viel Verachtung, wie sie vermochte.
»Nein. Sondern, weil ich sie liebe.«
Die Marquise schloss kurz die Augen. Der Tag hatte bereits schrecklich
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