Keine Lady ohne Tadel
Skandal gegeben!«
Ach,
dachte Esme.
Das wäre meine Rolle gewesen … in den alten Tagen.
Sie war erstaunt, dass weder Mrs Barret-Ducrorq noch Lady Winifred ein Wort über ihr Häubchen verloren hatten. Fanden sie sie wirklich alt genug, schwerfällig genug und verwitwet genug, um eine dieser abscheulichen Kopfbedeckungen zu tragen? Selbst Arabella trug so etwas nicht!
»Meine Nichte hat den großen Brummell persönlich beleidigt«, erzählte Mrs Barret-Ducrorq verlegen.
»Was in aller Welt kann Miss Aiken denn zu ihm gesagt haben?«, fragte Esme, wider Willen fasziniert. Sie hatte früher oft den Drang verspürt, Brummell zu beleidigen.
»Er hat ihr die unschätzbare Ehre erwiesen, sie zu ihrem Teint zu beglückwünschen, und sich dann erkundigt, welches Mittel sie für ihre Sommersprossen benutzt.« Mrs Barret-Ducrorq erschauerte. »Lucy war recht müde, und offenbar hat sie auch nicht ganz begriffen, welche Rolle Mr Brummell in der Gesellschaft spielt. Zumindest hat sie mir das so erklärt.«
»Und?«, fragte Mrs Cable.
»Sie hat den guten Mann angefaucht«, gestand Mrs Barret-Ducrorq. »Sie hat ihm mitgeteilt, jegliche Mittelchen, die sie für ihren Teint benutze, gingen allein sie und niemanden sonst etwas an.«
»Die Fallstricke der Eitelkeit«, bemerkte Mrs Cable düster.
»Die Sünde der Eitelkeit liegt hier ganz bei Mr Brummell!«, empörte sich Esme. »Dieser Mann hat ein boshaftes Vergnügen daran, einen auf genau die Mängel hinzuweisen, die man am ehesten verbergen möchte.«
»Lucy hasst ihre Sommersprossen«, erläuterte Mrs Barret-Ducrorq. »Ich gebe ja der Familie ihres Vaters die Schuld an diesem Makel. In unserer Familie kommt so etwas nicht vor, wie ich Lucy unzählige Male versichert habe.«
»Eifersucht …«, setzte Mrs Cable erneut an.
Doch keiner achtete auf sie. »Sie haben recht daran getan, die arme Lucy eine Woche aufs Land zu bringen«, lobte Lady Winifred. »Der ganze Vorfall wird bis nächsten Montag vergessen sein.«
»Wohl wahr. Wichtiger ist aber doch: Hat sie schon einen Gentleman kennengelernt, den sie annehmbar findet?«, erkundigte sich Esme.
Mrs Barret-Ducrorq lebte ein wenig auf. »Mehrere Gentlemen haben sie mit ihrer Aufmerksamkeit ausgezeichnet. Ich hoffe, dass sie ihr sowohl den Fauxpas als auch die Sommersprossen nachsehen werden.«
»Die arme Lucy hat nicht begriffen, dass wir Mr Brummell ja förmlich anbetteln, uns unhöflich zu behandeln«, sagte Esme. »Er ist ein fürchterlicher Mensch, und das werde ich Lucy auch sagen, wenn ich sie sehe.«
»Lady Rawlings!«, stieß Mrs Cable keuchend hervor. »Mr Brummell ist ein führender Gentleman der Gesellschaft! Es würde sich ganz und gar nicht schicken, wenn Miss Aiken ihn noch einmal kränkte.«
Esme biss sich auf die Lippen, um nicht zu entgegnen, dass auch sie eine der Spitzen der Gesellschaft sei und daher besser als Mrs Cable wusste, wie viel unnötiges Aufhebens man von dem großen Brummell machte. Oder vielmehr dem mittellosen Brummell, wenn man den Gerüchten Glauben schenken durfte.
In diesem Augenblick ging die Tür auf, und Arabella rauschte herein. »Aha, das muss der kleine Zirkel braver Arbeiterinnen sein, dem meine Nichte seit Neuestem angehört«, sagte sie lachend. »Ich habe mir gedacht, ich leiste Ihnen Gesellschaft und erzähle ein wenig Frivoles, um Ihnen die Arbeit leichter zu machen!«
»Wie lieb von dir«, murmelte Esme und schaute ihre Tante mahnend an. Wenn Arabella ihre neu gewonnene Ehrbarkeit untergrub, würde sie sie auspeitschen lassen, Verwandtschaft hin oder her. Sie hatte bereits zu viele Decken gesäumt, um nun ihren Platz im Nähkränzchen auf diese Weise zu verlieren. »Darf ich Ihnen meine Tante vorstellen, die verwitwete Viscountess Withers? Tante, das sind Mrs Cable, Mrs Barret-Ducrorq und …«
»Winifred!«, krähte Arabella erfreut. »Wie geht es dir, altes Mädchen?«
Esme sah ziemlich verblüfft zu, wie Lady Winifred unter lautem Knarren ihres Korsetts auf die Beine kam und Arabella in die Arme schloss. Lady Winifred war eine rotgesichtige Matrone mit sehr unterschiedlichen Bekannten. Dennoch hätte Esme ihre Tante nicht zu diesen Bekannten gezählt, da Lady Winifred viel Zeit darauf verwandte, den Ruf von weiblichen Wesen infrage zu stellen, die weitaus weniger Sünden vorzuweisen hatten als Arabella. Vielleicht verlor die würdige Dame allmählich ihr Gedächtnis.
»Ich habe dich ja seit einer Ewigkeit nicht gesehen!«, dröhnte Lady Winifred. »Ist
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