Keine Lady ohne Tadel
sie.
Sebastian drückte seine Daumen in den unteren Ansatz von Esmes Rückgrat. Sie schien vergessen zu haben, dass es stets einen Morgen gab. Dass sie ihm befohlen hatte, sie bei Morgengrauen zu verlassen. Die Sonne schien unter den Vorhängen durch, und jeden Augenblick konnte ihre Zofe hereinkommen. Esme stöhnte wie eine Frau in Ekstase. Ihre prachtvoll geschwungenen Hüften hoben sich von den zerwühlten Laken ab.
»Mein Rücken schmerzt heute Morgen mehr als sonst«, gestand Esme mit dünner Stimme. »Glaubst du, wir haben es verletzt?«
Sebastian drehte sie wieder auf den Rücken und schaute auf ihren geschwollenen Bauch. »Nicht im Geringsten«, beruhigte er sie und legte seine Hände auf ihren Leib, um das Kind zu begrüßen. Sein Kind.
»Ich glaube, du solltest jetzt wirklich gehen«, sagte Esme und sah ihn mahnend an. Sie wirkte gereizt und bitter. »Wohin fährst du eigentlich?«
»Frankreich hat mir immer am besten gefallen«, antwortete er ausweichend.
Wenn er nicht beabsichtigte, ihr seine Adresse zu geben, so sollte es Esme auch recht sein. »Nun, dann trink einen Champagner auf mein Wohl!«
»Möchtest du nicht tränenreich Abschied von mir nehmen?«
»Ich war selbst zu meinen besten Zeiten keine Freundin tränenseliger Abschiede!«, fauchte Esme. Sie stemmte die Ellenbogen aufs Bett, um sich aufzusetzen, und Sebastian half ihr beim Aufstehen. »Bitte geh jetzt. Jeannie muss jeden Augenblick kommen.«
Sebastian musste heimlich grinsen.
Esme versuchte ihr Herz zu schützen, das sie unter ihrem verführerischen Getue und ihrer Flirtkunst verbarg. Ihr Herz, das sie nie einem Manne geschenkt hatte – nur ihm,
dachte er. Obschon sie sich dessen nicht bewusst zu sein schien.
Er hüllte sie in ihren Morgenmantel und strich ihr die glänzenden schwarzen Locken zurück. »Du bist wunderschön am Morgen.« Er nahm ihr Gesicht in seine Hände.
»Bin ich nicht«, schmollte Esme und wich zurück. »Ich habe einen ganz fürchterlichen Geschmack im Mund, und mein Rücken tut höllisch weh. Ich bin nicht in der Stimmung für Gefühlsergüsse, Bonnington, und wäre dir sehr dankbar, wenn du hinausfändest, bevor das ganze Haus erwacht.«
Sebastian zog sich gehorsam Hemd und Hose an, während Esme zuschaute. Als er den letzten Knopf an seinem Hemd schloss, sah er Tränen über ihre Wangen rinnen. »Mein Liebling.« Er schloss sie in seine Arme. »Weine doch nicht.«
»Ich kann nichts dagegen machen«, schluchzte Esme. »Ich weiß, dass du fortmusst – denn fort musst du! –, aber ich bin so einsam ohne dich. Ich bin eine Närrin, eine schwache, törichte Närrin. Ich bin einfach … einfach …«
»Ich liebe dich, Esme«, sagte er. »Wenn du mich brauchst, gib mir Nachricht. Ich komme, so schnell ich kann – immer.«
»Aber du musst gehen! Es ist unschicklich, dass sich ein als Gärtner getarnter Edelmann auf meinem Anwesen verbirgt. Es wird sich in Windeseile herumsprechen, und dann wäre mein Ruf vollends ruiniert.«
Er reichte ihr sein Taschentuch.
»Danke. Und mir wäre es auch egal«, fuhr sie schniefend fort, »aber was ist mit meinem Kind? Aber das weißt du ja alles, Sebastian, du weißt es, und ich weiß es und … es hilft ja alles nichts. Also geh – bitte.«
Er rührte sich nicht von der Stelle.
»Geh!« Sie schaute ihn mit vor Tränen glänzendem Gesicht an. Ihre Augen waren rot, sie zerknüllte das Taschentuch in den Händen, und Sebastian wusste genau, dass er nie einen anderen Menschen so lieben könnte wie sie.
Er beugte sich vor und drückte ihr einen flüchtigen Kuss auf die Lippen. »Auf Wiedersehen«, sagte er. Dann legte er seine Hände ein letztes Mal auf ihren Bauch. »Und auch dir, mein Kleiner.«
»Oh Gott, ich halte es nicht aus!«, schluchzte Esme. »Geh bitte, oder mein Entschluss gerät ins Wanken. Geh endlich!«
Er schlüpfte aus ihrem Zimmer und sah prüfend nach rechts und nach links. Gestern Abend war er über eine der Leitern in Esmes Zimmer gekommen, doch im Oberstock des Hauses kannte er sich nicht aus.
Plötzlich vernahm er ein diskretes Hüsteln hinter sich. »Kann ich Ihnen behilflich sein, Mylord?«
Sebastian fuhr herum und sah sich Esmes Butler gegenüber, der eine höfliche Verbeugung machte. »Slope, nicht wahr?«, fragte er.
»Ganz recht, Mylord.«
»Ich weiß, dass Ihre Herrin Ihnen vorbehaltlos vertraut. Und ich hoffe, dass sie sich auf Ihre unbedingte Diskretion verlassen kann.«
»Natürlich«, erwiderte Slope, und nur ein Hauch von
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