Keine Lady ohne Tadel
Höflichkeitsbesuch abstattete. Alle Welt wusste doch, dass man ihn allzeit in Lady Childes Gemach antraf.«
»Das Kind ist von Miles, meinem Mann!«
»Ich zweifle nicht daran, dass dies Ihr inständiger Wunsch ist. Ich denke, wir alle wünschten, dass Sie die Tür Ihres Schlafgemachs ein wenig besser verriegelt hätten.«
Flammend rote Kreise erschienen auf Esmes Wangen. »Wie bitte?«
»Wichtig ist doch nur, dass mein törichter Sohn irrigerweise annimmt, das Kind sei von ihm, nicht wahr? Und deshalb will er Sie heiraten.«
»Es ist Miles’ Kind, und die Tatsache, dass es als ein Rawlings zur Welt kommen wird, ist über jeden Tadel erhaben.« Esme kochte beinahe vor Zorn.
»Denken Sie gut nach, meine Kleine«, empfahl Lady Bonnington. »Selbst wenn Sie es geschafft haben sollten, Rawlings wieder in Ihr Bett zu locken, ist doch sonnenklar, dass mein Sohn der Vater des Kindes ist. Miles Rawlings war so schwach wie ein Hänfling, das war allgemein bekannt. Sie wissen doch so gut wie ich, dass sein Arzt ihm nur noch wenige Wochen zu leben gab. Wie hätte er in diesem Zustand ein Kind zeugen können? Dazu braucht es Kraft und Saft, wie Sie sehr wohl wissen.«
»Miles war für diese Aufgabe kräftig genug«, gab Esme zurück. »Es ist ein Unglück, dass er sterben musste, bevor sein Sohn oder seine Tochter zur Welt kommt, aber sein Kind wird nicht das erste oder das letzte sein, das nach dem Tod des Vaters geboren wird. Darf ich Sie daran erinnern, Lady Bonnington, dass es für Miles eine Kränkung bedeuten würde, wenn sein Kind als Bonnington geboren würde?«
»Sie geben also zu, dass dieses Kind mein Enkel sein könnte«, sagte die Marquise mit grimmiger Befriedigung.
Esme öffnete den Mund zu einer Antwort, doch Lady Bonnington stieß erneut mit ihrem Stock auf.
»Zu meiner Zeit haben wir nicht so viel überlegt, wessen Schlafzimmertür offen stand und wessen nicht. Ich werde nun meine Karten auf den Tisch legen. Es würde mir arg missfallen, wenn mein Sohn eine Frau mit Ihrem Ruf heiratete. Und ich will, dass mein Sohn sofort den Holzschuppen, oder wo immer er gerade steckt, verlässt und wieder in den Salon kommt, wohin er gehört.« Sie verzog den Mund. »Habe ich Ihnen meinen Standpunkt deutlich genug gemacht?«
Esme hatte das Gefühl, als fließe der Zorn wie Lava unter ihrer Haut. »Ihr Sohn ist nicht hier«, antwortete sie, jedes einzelne Wort betonend. »Ich habe ihn fortgeschickt. Das Kind ist von meinem Mann, und Ihren Sohn, Madam, würde ich unter keinen Umständen heiraten. Sie wissen doch wohl, dass Marquis Bonnington für den Tod meines Mannes verantwortlich ist?«
»Sie wissen so gut wie ich, dass Rawlings jederzeit hätte abtreten können.«
Doch Esme hörte zum ersten Mal so etwas wie Unsicherheit in der Stimme der Marquise. »Wenn Ihr Sohn nicht unaufgefordert in mein Schlafzimmer eingedrungen wäre und mit Miles in der Dunkelheit gerungen hätte, dann wäre mein Mann vielleicht noch am Leben«, erklärte sie freimütig. »Unter solchen Umständen würde ich keinen Mann heiraten. Einen solchen Mann könnte ich niemals zum Vater meines Kindes machen.«
»Es überrascht mich immer wieder, dass die am übelsten beleumdeten Frauenzimmer im tiefsten Herzen so feige sind«, bemerkte Lady Bonnington trocken. Der Streit schien ihr nicht das Geringste auszumachen. »Bedenken Sie, dass Ihre Mutter eine der ehrbaren Stützen der Gesellschaft ist.« Sie erhob sich, schwer auf ihren Stock gestützt. »Es ist ganz richtig, dass Sie sich weigern, ihn zum Mann zu nehmen, was auch immer die Gründe dafür sein mögen. Sorgen bereitet mir hingegen die Abstammung des Kindes. Unterschätzen Sie meinen Sohn nicht, Lady Rawlings. Wenn er meint, es wäre sein Kind, wird er Sie nach Gretna Green entführen, ohne Sie vorher um Erlaubnis zu fragen. Das liegt am Blut meines Vaters, das in ihm zum Vorschein kommt.«
»Ich werde ihn unter keinen Umständen heiraten«, erwiderte Esme. »Weder in Gretna Green noch in St. Paul’s. Und darf ich es noch einmal betonen: Er hat mein Anwesen bereits verlassen, Lady Bonnington. Er zeigt bei Weitem nicht den Grad an Entschlossenheit, den Sie ihm andichten.«
»Er fehlt Ihnen, nicht wahr?«, fragte Lady Bonnington unvermittelt.
Esme errötete. Dieser schrecklichen alten Schachtel entging rein gar nichts! »Überhaupt nicht!«
»Da Sebastian fort ist, werde ich hierbleiben und feststellen, ob das Kind zu meiner Familie gehört«, verkündete die Marquise. »Wenn es
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