Keine Macht den Doofen
zerschellen muss. Die undurchsichtigen Finanzprodukte der letzten
Jahre waren daher keine bloß zufälligen Ausnahmeerscheinungen unseres
Wirtschaftssystems , sondern logische Konsequenzen eines ökonomiotischen Kettenbriefhandels , der in
seine finale Phase eingetreten ist. Deshalb wird das, was bislang auf
internationaler Regierungsebene beschlossen wurde, den finalen Crash nicht
aufhalten können. Bestenfalls werden die Multimilliarden-Rettungsschirme dazu
beitragen, etwas Zeit zu gewinnen. Diese Zeit müsste jedoch dringend genutzt
werden, um das Grundproblem anzugehen, das sich hinter den vielfältigen
Einzelphänomenen der gegenwärtigen Finanzkrise verbirgt, nämlich die verhängnisvolle Warenfunktion des Geldes , die, wie gesagt, dafür
sorgt, dass Geld im Wirtschaftskreislauf nicht als stabiles,
transparentes und neutrales Medium des Tausches dient, sondern als instabiles, intransparentes und parteiisches Instrument der
Umverteilung.
Was also müsste in der gegenwärtigen Situation getan werden? Wir
müssten den Warencharakter des Geldes aufheben ,
gewissermaßen das Geld neu erfinden . Dazu wird es
nicht ausreichen, den Finanzsektor stärker zu regulieren und bestimmte
Finanzprodukte, die rein fiktives Kapital mehren, zu verbieten. Auch die
sinnvolle Einführung einer Finanztransaktionssteuer auf
internationale Devisengeschäfte (Tobin-Steuer) wird das zugrunde
liegende Problem nicht beheben. Notwendig wäre vielmehr, die
kolossale Umverteilung von Arm auf Reich, die in den letzten Jahrzehnten stattgefunden
hat, rückgängig zu machen! Es brauchte also Politiker, die den Mut
aufbringen, in aller Öffentlichkeit klarzustellen, dass der Abbau
der exorbitanten Schulden nur möglich ist, wenn auch
die exorbitanten Vermögen abgebaut werden . Wir brauchten Politiker, die
mit Entschiedenheit dafür eintreten, dass aus dem Kapital
weniger das Kapital vieler wird, was nicht nur eine linke ,
sondern auch eine liberale Forderung sein müsste , da eine Marktwirtschaft nur unter dieser Voraussetzung
funktionieren kann. 60 Wir brauchten Politiker, die den Irrglauben, dass Geld arbeiten könne, im Ansatz
bekämpfen und darauf insistieren, dass nur reale Leistungen
im realen Leben realen Wohlstand erzeugen. 61
Doch sind solche Politiker in Sicht? Nein! Die Vorstellung, dass
unsere Politiker mehrheitlich die Zeichen der Zeit erkennen und wirksame
Maßnahmen gegen die Kettenbriefwirtschaft einleiten werden, wirkt fast schon so
obskur wie der schiitische Glaube, dass der verborgene 12. Imam aus einem
vertrockneten Brunnen klettern und die Weltherrschaft übernehmen wird. Doch
warum ist das so? Um diese Frage beantworten zu können, müssen wir einen Abstecher
in die intellektuellen Niederungen der Politik wagen …
DIE TORHEIT DER REGIERENDEN
Politioten an der Macht
Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber mir persönlich
fällt es immer schwerer, mich dazu zu motivieren, an Wahlen teilzunehmen und
einer politischen Partei meine Stimme zu geben. Manchmal frage ich mich, ob die
alten Spontis nicht doch recht hatten: »Wenn Wahlen etwas ändern würden, wären
sie längst verboten!« Sozialwissenschaftler bezeichnen das kulturelle
Ermüdungssyndrom, unter dem ich leide, als Politik verdrossenheit – Politiker verdrossenheit wäre jedoch der passendere
Begriff: Denn wie viele Bürgerinnen und Bürger hege ich nicht den geringsten
Zweifel daran, dass der politischen Klasse eine zentrale Aufgabe in unserem Gemeinwesen
zukommt – ich bezweifle nur, dass die Damen und Herren, die dazu berufen sind,
diesen Job zu erledigen, die dafür erforderlichen Qualitäten besitzen.
Offensichtlich handelt es sich hierbei nicht bloß um ein individuelles , sondern um ein strukturelles Problem. Schon vor mehr als 20 Jahren hat Esther Vilar auf den »betörenden
Glanz der Dummheit« hingewiesen, der das politische Geschäft wie kaum ein
anderes bestimmt. 62 Tatsächlich muss man festhalten, dass gerade in der Nische der Politik Selektionskräfte
am Werk sind, die nachdenkliche, kreative, empathische Menschen eher behindern
als fördern. Wie auch könnte ein origineller, phantasievoller, sensibler Mensch
all den Stumpfsinn, all die Kleingeistigkeit, all den Zwang zu opportunistischer
Heuchelei überstehen, der einem Berufspolitiker während seines Marschs durch
die Institutionen zugemutet wird? Ist es nicht so, dass diejenigen, die schon
von vornherein eine gewisse Neigung zu stumpfsinnigem Opportunismus in sich
tragen, auf politischem
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