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Keine Macht den Doofen

Keine Macht den Doofen

Titel: Keine Macht den Doofen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Schmidt-Salomon
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Gebiet im Vorteil sind?
    Esther Vilar fragt zu Recht: »Wie bringt ein Mensch es fertig, jahrzehntelang
in allen diesen Phrasen zu schwimmen und all diese Gemeinplätze im Mund zu
führen? Wie stellt er es an, das stets wechselnde Parteiprogramm mit ewig gleicher
Inbrunst zu verteidigen? Wie erträgt er es, in Wahlzeiten all diese
Versprechungen abzugeben, von denen er doch weiß, dass er sie niemals halten
kann? […] Warum ist ihm – in der Regel – keine Attitüde zu grotesk, wenn er
annimmt, dadurch volksnah zu erscheinen? Da verbrüdern sich besten Kreisen
entstammende Herren mit rußverschmierten Kumpels, als hätten sie ein Leben lang
von nichts anderem geträumt als von der Freundschaft dieser gestandenen Männer.
[…] Wer zu Unternehmern redet, bedauert die Unersättlichkeit der Lohnempfänger,
und schon bei der nächsten Ansprache werden diese dann auf die Profitgier ihrer
Bosse hingewiesen. Und auf geht’s zum nächsten Happening, wo das Ganze von vorn
beginnt: Händeschütteln, Schulterklopfen, Freundschaftschließen. Fragen
stellen, auf die keiner eine Antwort gibt. Antworten geben, auf die keiner
hört. Und das alles im Sechzehn-Stunden-Takt, an jedem Tag der Woche …« 63
    Angesichts der Tendenz, dass gerade »aus den hartgesottensten,
unermüdlichsten und leutseligsten Händeschüttlern, Schulterklopfern,
Phrasendreschern, Sitzungssitzern nach Jahren und Jahrzehnten schließlich
Abgeordnete, Staatssekretäre, Premiers und Präsidenten werden« 64 , muss man sich über die
bescheidene Qualität politischer Problemlösungen gar nicht wundern. Vilar sieht
hierin zu Recht eines der Grundprobleme der parlamentarischen Demokratie: Wie
auch könnte Politik unter solchen Voraussetzungen etwas anderes sein als die
»Herrschaft des Groben über das Feine, der Dickfelligkeit über das Zartgefühl,
des Banalen über das Besondere, des Geheuchelten über das Echte, der Geistlosigkeit
über den Geist«? 65
    Selbstverständlich gibt es – und zwar in allen Parteien – kluge,
sensible, innovative Politikerinnen und Politiker, die es irgendwie geschafft
haben, sich durch das System hindurchzumogeln, ohne dabei ihre persönliche
Integrität, ihre Phantasie, ihre Feinfühligkeit zu verlieren. Doch sie bilden –
in allen Parteien – eine Minderheit, die sich gegen die Mehrheit der hohlen
Phrasendrescher, der zwanghaften Mobber, der dumpfen Berufsopportunisten kaum
durchsetzen kann. Ich würde diese Bilanz nicht in dieser apodiktischen Härte
formulieren, wäre ich in den letzten Jahren (durch Talkshows,
Podiumsdiskussionen, Briefwechsel etc.) nicht zunehmend mit Vertretern der
politischen Klasse konfrontiert worden. Dabei haben sich immer wieder intellektuelle Abgründe aufgetan, die ich so beim besten
Willen nicht für möglich gehalten hätte. Insofern war der Satz in der
Einleitung dieses Buchs »Die herrschende Dummheit ist stets auch die Dummheit
der Herrschenden« nicht bloß ein nettes Wortspiel, er kennzeichnet eine bittere
Realität: Denn alle Formen des Schwachsinns, die wir bisher
untersucht haben, Religiotie, Ökologiotie und Ökonomiotie, vereinigen sich auf
politischer Ebene zu einer allumfassenden Mega-Blödheit, der Politiotie.

Heilige Einfalt in der Politik
    Dies sei nachfolgend kurz skizziert. Beginnen wir mit dem Nachweis des religiotischen Syndroms in der Politik : Zunächst
darf man hier glücklicherweise festhalten, dass Vollreligioten wie der
iranische Präsident Ahmadinedschad in westlichen Demokratien – trotz des
nachhaltigen Eindrucks, den George W. Bush hinterlassen hat – eher eine
Seltenheit sind. Das ist auch insofern naheliegend, als in religiotischen
Denksystemen alle Herrschaftsgewalt von oben, von
Gott, und nicht von unten , vom Volk, kommt. Kurzum: Religiotie und Demokratie sind einander wesensfremd .
Dennoch: Trotz des Fehlens militanter Gotteskrieger in den Parlamenten und
Regierungen der westlichen Staaten wird das politische Geschäft auch in
liberalen, säkularen Gesellschaften in erstaunlichem Maße noch von
religiotischen Hirnwürmern bestimmt.
    Man erkennt dies schon daran, dass – während die Kirchen im Lande
immer leerer werden – die Spitzenpolitiker regelrecht darum wetteifern, wer bei
öffentlich übertragenen Gottesdiensten in den vordersten Kirchenbänken Platz nehmen
darf. Viele Spitzenpolitiker präsentieren sich mit großem
Eifer als Spitzengläubige , weshalb sie nicht nur in
der Politik, sondern auch in den Kirchen wichtige Posten besetzen (etwa im

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