Keine Macht den Doofen
Vorstellungskraft äußere 78 , die Reaktionen auf
Fukushima hätten den ultimativen Beweis erbracht. Denn was behaupteten die
Vertreter der Regierungsparteien im März 2011 vor laufenden Kameras? Sie
erklärten allen Ernstes (und ohne rot zu werden), dass man sich einen solch
dramatischen Unfall wie in Fukushima gar nicht hätte
vorstellen können .
Was für eine Bankrotterklärung der Vernunft! Waren die
entscheidenden Argumente, die gegen die Atomkraft sprachen, denn nicht
spätestens schon seit Robert Jungks Bestsellern aus den 1970er-Jahren »Griff
nach dem Atom« und »Der Atomstaat« allgemein bekannt? Brauchte es 25 Jahre nach
Tschernobyl wirklich eine weitere Katastrophe, um die verheerenden Folgen eines
Supergaus zu demonstrieren? Hätte die Politik nicht längst erkennen müssen,
dass es grob fahrlässig ist, eine Technologie zu nutzen, die menschliche
Unvollkommenheit mit nie wiedergutzumachenden Katastrophen bestraft?
Wären Politiker Wesen, die in ihrem Handeln vornehmlich Argumenten
folgen, wäre die Antwort klar: Kein Mensch mit Verstand
würde auf eine Technologie setzen, deren Risiken so verheerend sind, dass sie
von keiner Versicherung der Welt getragen werden! Jedoch geht es im
Spiel der Politik nicht um die rationale Berücksichtigung
von Argumenten, sondern um die gesellschaftliche
Verteilung von Macht. Politiker können es sich gar nicht leisten, Argumenten
zu folgen, die zwar sachlich richtig sein mögen, politisch
aber nicht durchsetzungsfähig sind . Sie sind gefangen (und zugleich aufgefangen)
in einem Netzwerk von Interessen , zwischen denen sie
klug taktieren müssen: den Interessen der Partei , die
sie vertreten, den Interessen der Wähler , um deren
Stimmen sie kämpfen, und den Interessen der Lobbyisten ,
die sie umschwärmen wie die Motten das Licht.
Ebendieses Konglomerat von Interessen sorgte dafür, dass die
schwarz-gelbe Koalition im Herbst 2010 wider alle ökologische Vernunft den
Ausstieg aus dem bereits beschlossenen Atomausstieg verkündete. Schließlich
waren beide Parteien in der Vergangenheit maßgeblich am Auf- und Ausbau der
Kernenergie beteiligt gewesen, von deren Sicherheit und Effizienz auch ihre
Wähler weitgehend überzeugt waren. Der Reaktorunfall in Tschernobyl war zum
einen in Vergessenheit geraten, zum anderen konnte man ihn wunderbar auf
sozialistische Misswirtschaft in der untergegangenen UdSSR zurückführen, was wiederum perfekt in die Wahlprogramme beider Parteien und ins
Meinungsbild ihrer jeweiligen Wähler passte. Natürlich standen beide Parteien
zudem in engstem Kontakt zu den großen Energiekonzernen, die möglichst viel
Profit aus den bestehenden Atommeilern schlagen wollten. Warum also sollte man
bei einem so starken Interessenskonsens in der Praxis auf Theoretiker hören,
die mit ihrer Kritik an der Kernenergie ohnehin Propaganda für das falsche
politische Lager machten?
Wäre der Unfall in Fukushima nicht dazwischengekommen, wäre diese
realpolitische Rechnung wohl aufgegangen. In dieser Hinsicht veränderte Fukushima jedoch alles. Obgleich die argumentative
Sachlage gleich blieb (die Nutzung der Kernenergie war nach Fukushima natürlich ebenso »sicher«, wie sie es vor Fukushima gewesen war), hatte sich die allgemeine Stimmungslage dramatisch gewandelt: Die
Zustimmung bei den Wählern kippte, die Regierungsparteien gerieten unter Druck,
und auch die Stromkonzerne mussten einsehen, dass sie Kunden verlieren würden,
wenn sie weiterhin auf Atomstrom setzen würden. Also leiteten die
Regierungspolitiker eine furiose Kehrtwende in ihrer Atompolitik ein – nicht,
weil sie urplötzlich von der Richtigkeit des Atomausstiegs argumentativ
überzeugt gewesen wären (wie gesagt: die Sachlage blieb gleich), sondern weil
sich nach Fukushima die Machtverhältnisse (die Interessenlagen) radikal
geändert hatten.
Tomaten ohne Gene?
Es ist nicht erstaunlich, dass die
Grünen von diesen veränderten Verhältnissen am stärksten profitieren
konnten. Immerhin treten sie schon seit Jahrzehnten entschieden gegen die
Nutzung der Kernenergie ein. Nicht nur deshalb ist man geneigt, den Grünen
größere Kompetenz in ökologischen Fragen zuzubilligen als anderen Parteien. Allerdings sind auch die Grünen gegen Ökologiotie keineswegs
gefeit. Am deutlichsten zeigt sich dies wohl in ihrer rigorosen Abwehr
der Gentechnik .
Dass gentechnisch veränderte Lebensmittel gesundheitsgefährdend und
ökologisch bedenklich seien, gehört zum festen Glaubenssystem
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