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Keine Pizza für Commissario Luciani

Titel: Keine Pizza für Commissario Luciani Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Paglieri
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aber es stimmte.
    »Sind Sie zum Mittagessen wieder da?«
    »Nein, Schwester. Ich helfe ein bisschen unten am Hafen mit, und da werde ich auch etwas essen. Wir sehen uns heute Abend.«
    Schwester Andreina hatte recht, es war wirklich ganz schön frisch, aber die Luft war unglaublich klar und rein. Es war einer
     dieser Tage, an denen man bis Korsika sehen konnte – wenn man noch gute Augen hatte. Er ging die Treppe hinab, ohne sich am
     Geländer festzuhalten, was außer ihm im Heim kaum noch einer schaffte. An dem Tag, an dem ich einen Stock brauche, werde ich
     nicht mehr vor die Tür gehen, dachte er zum tausendsten Mal, lieber sollen sie mich da drinnen beerdigen, aber mit Stock lasse
     ich mich nicht sehen. Das war inzwischen wie ein Mantra, das er sich jeden Morgen vorbetete, und er war zu der Überzeugung
     gelangt, dass es ihm Glück brachte. Er überquerte die Straße, ging ein Stück die Aurelia lang und nahm dann eines der Treppchen
     hinunter ins Dorf. Hier musste er sich wohl am Geländer festhalten, aber nur, weil die Stufen so |52| steil und unregelmäßig waren. Das machten außerdem alle, selbst die Jugendlichen.
    Er schaute rasch bei Marcella im Fischgeschäft vorbei und warf einen Blick auf den Fang, den die Fischer gebracht hatten,
     dann ging er die letzten Stufen hinunter und spazierte auf die Mole. Das Wetter war herrlich. Das Meer azurblau und still,
     die Fassaden der eng aneinandergeschmiegten Häuser leuchteten in der Sonne. Der Kapitän saß schon draußen an seinem Tischchen,
     wie jeden Morgen, vor sich die Zeitung und einen Cappuccino. Sie grüßten einander stumm, dann schlenderte Mario weiter bis
     zur Bar unter den Arkaden. Er nahm einen ungezuckerten Espresso, der ihn endgültig aufweckte, und warf einen Blick auf die
     Todesanzeigen im »Secolo XIX«. Niemand, den er kannte. Er blätterte in den Lokalteil: ein Artikel über die Restaurierung des
     Theaters, das im Frühling erneut die Pforten öffnen sollte, und ein kleinerer Beitrag, in dem sich eine Bürgerinitiative für
     die Wiedereröffnung des Aquariums aussprach. Marietto hatte dort einige Zeit gearbeitet, er hätte gerne mitgeholfen, die Becken
     wieder mit den künstlichen Korallenriffen auszustatten, so wie vor vielen Jahren. Er verabschiedete sich von dem Barbesitzer,
     ging hinaus und bereitete sich auf seinen Arbeitstag vor.
     
    Marco Luciani blieb vor den Schaufenstern der Immobilienmakler stehen und betrachtete die Anzeigen. Verschiedene Appartements
     wurden zum Verkauf angeboten, aber die Preise standen nicht dabei. Er hatte keine Ahnung, wie viel die Villa seiner Eltern
     wert sein mochte, aber er wollte nicht eintreten und um eine Schätzung bitten, denn das hätte eine Lawine von Gutachten, Telefonaten,
     Maklerbesuchen und Wohnungsbesichtigungen nach sich gezogen, und das konnte er ohne Wissen seiner Mutter nicht machen. Er
     hatte das Gratisblatt mit den Immobilienanzeigen |53| gegriffen und wollte es in aller Ruhe in der Sonne lesen, als er auf dem Mäuerchen, das zum Kai des kleinen Hafens führte,
     einen alten Fischer, einen Freund seines Vaters, sitzen sah. Er besserte die Maschen eines Äschennetzes aus, in dem wohl ein
     Bonito gewütet hatte. Eine Touristin fotografierte ihn wie eine Attraktion oder eine Sehenswürdigkeit, und in gewissem Sinne
     war er das. Der Kommissar dachte an seinen Vater Cesare zurück, an das stolze Gesicht, mit dem er vom Fischen heimkam, die
     prall gefüllte Tüte schwenkend, deren Inhalt er vor den Augen seiner Frau ins Küchenspülbecken leerte, wie ein Höhlenmensch,
     der den warmen Kadaver eines mit Keulenschlägen erlegten Wildschweins vor die Füße seines Weibes wirft. Ein einziges Mal war
     der damals neunjährige Marco Luciani mit ihnen hinausgefahren und hatte dabei festgestellt, dass die ganze Arbeit der Fischer
     tat. Sein Vater wusste bestenfalls, wie man die Leinen losmachte und seinem Sohn sagte, er solle die Klappe halten, sonst
     vertreibe er die Fische. Sie waren um Mitternacht losgefahren, und bis zwei Uhr hatte Marco sich zu Tode gelangweilt, dann
     hatte er gefroren wie nie zuvor in seinem Leben, und schließlich hatte er die hartgekochten Eier ausgekotzt, die seine Mutter
     ihm zur Stärkung in die Tasche gesteckt hatte. Ein zweites Mal hatte er gekotzt, als sie das Netz mit dem Fang an Bord gezogen
     hatten, einen Haufen Fische, die wie wahnsinnig zappelten und ihren Darm entleerten, während er still weinte und vergebens
     nach einem Fluchtweg

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