Keine Pizza für Commissario Luciani
die?«
Einen Moment lang herrschte Stille, weil niemand den Namen der Insel verstanden hatte.
Dann sah man auf dem Bildschirm die Insel aus der Vogelperspektive, auf der ein riesiges dunkelgelbes Gebäude in Hufeisenform
prangte.
»Die Käufer haben zugesagt, die Gebäude in Staatsbesitz zu restaurieren und deren Erhalt zu sichern, allen voran das Zuchthaus,
das Sie auf dem Bild sehen, ein gewaltiges Bauwerk, das König Ferdinand IV., der Bourbone, im Jahr 1795 nach einem Entwurf
des Architekten Francesco Carpi errichten ließ. Der ringförmige Grundriss mit dem zentralen Wachturm sollte eine permanente
Sichtkontrolle der Gefangenen ermöglichen. Bis zu seiner Schließung im Jahre 1965 beherbergte dieses Gefängnis auch so illustre
Persönlichkeiten |71| wie Luigi Settembrini und sogar Sandro Pertini.« 1
Gaetano wandte sich zu Marietto, um zu fragen, ob er die Ecke kannte. Der aber starrte nur kreidebleich auf den Bildschirm.
»Was ist denn los mit dir?
Mamma mia
, du bist ja käseweiß!«
Marietto bekam keinen Ton heraus. Seine Hände waren eiskalt, in seiner Brust steckte ein Dolch.
»Schwester! Schwester, schnell! Marietto geht es nicht gut.«
Alle drehten sich um. »Was ist los?« – »Signor Risso, hören Sie mich? Signor Risso!«
Er sprang fast auf, schaffte es ins Bad, schaffte es aber nicht, das Gebiss rauszunehmen, ehe er Pasta und Birne erbrach.
Danach war ihm nicht mehr schlecht, dafür schien sein Kopf platzen zu wollen.
»Sie haben das Essen nicht verdaut«, sagte Schwester Pilar. »Vielleicht haben Sie sich ein bisschen verkühlt. Sie legen sich
jetzt besser ins Bett. Ich bringe Ihnen noch eine Decke.«
Er ließ sich aufs Zimmer führen. Im Mund hatte er den säuerlichen Geschmack von Erbrochenem. Die Schwester nahm sein Gebiss:
»Ich mache das sauber, keine Sorge.«
»Bringen Sie es mir dann gleich wieder, bitte?«
»Wozu denn? Heute Abend sollten Sie besser nichts mehr essen.«
»Aber morgen früh. Morgen früh muss ich zeitig aufbrechen.«
|72| »Machen Sie Witze? Morgen früh gehen Sie nirgendwohin. Ich verständige jetzt den Arzt, dass der Sie untersucht. Es geht eine
böse Grippe um, und ich hoffe nicht, dass das hier der Anfang ist.«
»Aber ich …«
»Wenn Sie mal ein paar Tage nicht unten am Hafen sind, wird die Welt auch nicht untergehen. Falls Sie jemanden verständigen
wollen, können wir das übernehmen. Sie sollen sich nur ausruhen.«
Gaetano erwartete sie auf der Schwelle. Kaum war die Schwester draußen, trat er an das Bett des Freundes.
»Wie geht’s?«
»Ein bisschen besser, danke.«
»Du bist schon seit ein paar Tagen nicht ganz auf der Höhe. Du denkst dauernd an diese Geschichte mit dem Sankt-Stephans-Tag,
stimmt’s?«
»Wie kommst du denn darauf?«, sagte Marietto und schaute ihn böse an.
»Die Olga ist eine alte Spinnerin. Die mit ihren Prophezeiungen.«
Sein Gegenüber seufzte. »Nein, das ist es nicht … Auch wenn sie oft ins Schwarze trifft.«
Gaetano ließ ein abschätziges »Ach!« hören. »Muss sie ja. Wir stehen alle mit einem Bein im Grab, und wenn sie uns nur dauernd
sagt, dass wir bald sterben … Wie auch immer: Sankt Stephan ist bald. Versuch, die paar Tage noch zu überstehen.«
Marietto lächelte. »Ich werde durchhalten. Es geht schon wieder besser, mir lag nur diese Pasta im Magen.«
»Wart mal, ich hole mir einen Stuhl und bleib ein bisschen bei dir.«
»Nein, nein, geh ruhig runter und schau fern.«
»Ach was, daran liegt mir doch nichts …«
»Ehrlich. Ich bin sowieso in fünf Minuten eingeschlafen.« |73| Er schloss die Augen, als wollte er unterstreichen, wie müde er war.
»Wie du meinst. Hast du den Alarmknopf greifbar?«
Marietto zeigte ihn ihm. »Schwester Pilar wird noch einmal nach mir sehen. Du kennst sie doch. Kein Grund zur Sorge.«
»Also meinetwegen. Bis später.«
|74| Dreizehn
Ranieri und Luciani
Heute
»Insel von Santo Stefano wird Wellness-Resort für Reiche« – »Staat verkauft Kleinod im Mittelmeer« – »Gefängnis von Pertini
wird Luxushotel«.
Die Schlagzeilen der Zeitungen waren verlogen, böswillig und tendenziös. Wie immer, dachte der Abgeordnete Ludovico Ranieri
und fegte sie mit einer Armbewegung vom Schreibtisch.
»Da dümpelt diese beschissene Insel seit Jahrzehnten im Mittelmeer herum, keiner nimmt sich ihrer an, keiner interessiert
sich für sie, das Gefängnis verfällt, für die Instandsetzung gibt es keinen Heller, aber wenn jemand versucht,
Weitere Kostenlose Bücher