Keine Schokolade ist auch keine Loesung
Aber auch ein zwanghafter Impuls, Tanias Aufmerksamkeit zu erlangen, selbst wenn er ihr, beziehungsweise den Menschen in ihrem Umfeld, dafür schaden muss.
Am liebsten würde ich meine Diagnose überprüfen und hören, ob Tom und Steven mir zustimmen, aber ein Student mit knallblauen Haaren ist mit uns in den Aufzug gestiegen, darum geht das jetzt nicht. Der Student ist nicht der Einzige, der uns Gesellschaft leistet. Wynona hat darauf bestanden, dass wir Pete mitnehmen.
»Oh, bitte«, sagte sie und verdrehte die Augen, als Pete sie fragte, ob sie den Mittagsansturm ohne ihn bewältigen könne. »Geh schon. Ich weiß ja, dass du darauf brennst, endlich mal deinen Taser einzusetzen.«
Also kommt Pete mit, die rechte Hand am Griff seines Elektroschockers. Das ist nicht so beruhigend, wie man denken könnte. Ich hefte den Blick auf das Plakat an der Kabinenwand, das die Bewohner auffordert, die Wasser Hall Family Franks ’n’ Fun Night zu besuchen. Mich überkommt das beinahe überwältigende Bedürfnis, »FU« darüberzuschmieren.
Leider geht das nicht wegen des blauhaarigen Studenten und aufgrund des Umstands, dass ich keinen Stift bei mir trage. Und außerdem wäre das natürlich superunreif.
Der Aufzug hält im zweiten Stock, und der blauhaarige Student steigt aus. Kaum hat sich die Tür wieder geschlossen, sage ich: »Ich hasse dieses Gebäude.«
»Es macht einen selbstgefälligen Eindruck«, stimmt Tom mir zu. »Für ein Gebäude.«
»Wer sagt eigentlich noch Frankfurter?«, frage ich und zeige auf das Plakat. »Weiß doch jeder, dass man das heutzutage einen Hotdog nennt. Simon hat das Wort nur wegen der Alliteration benutzt.«
»Simon ist ein Blödmann«, sagt Tom.
»Cool bleiben, ihr zwei«, sagt Steven.
»Leute«, sage ich. »Ich glaube, Bill Bigelow ist …«
Die Musik dröhnt uns bereits entgegen, als der Aufzug sich im dritten Stock öffnet. Sie ist fast schon unanständig laut, und ich arbeite lange genug in einem Studentenwohnheim, um mich mit lauter Musik auszukennnen. Ich erkenne das Stück sofort: Es ist Tania Traces neue Hitsingle So sue me .
Mein Herz beginnt noch ein bisschen schneller zu schlagen. Ich überlege kurz, ob ich Cooper anrufen soll, komme aber zu dem Schluss, dass er nichts für mich tun kann. Sein Job ist es, seine Klientin zu beschützen.
»Wow«, sagt Tom, während wir den Flur betreten. »Da ist wohl jemand ein großer Tania-Fan, was?«
Genau das, denke ich, ist vielleicht das Problem.
Obwohl die Wasser Hall viel neuer ist als unser Wohnheim, sind die Wände hier viel dünner. Der pulsierende Bass ist körperlich spürbar. Ich drehe den Kopf und sehe, warum. Nummer 401 befindet sich nämlich gleich neben dem Aufzug, und die Musik kommt eindeutig aus diesem Zimmer. Überraschenderweise steht die Tür einen Spalt offen. Das kommt oft vor in Studentenwohnheimen. Um das Gemeinschaftsgefühl zu fördern – aber öfter noch aus Faulheit, den Schlüssel mit sich herumzutragen –, lassen die Studenten ihre Türen angelehnt, im Glauben, dass keiner sie beklauen wird, weil sie schließlich eine große Familie sind. Dieser falsche Glaube ist natürlich verantwortlich dafür, dass ihnen ständig ihre Laptops, Handys und teuren Lederjacken gestohlen werden.
Durch die halb offene Tür kann man sehen, dass Nummer 401 ein Apartment ist. Bill Bigelow teilt sich einen Gemeinschaftsbereich inklusive Küche, Bad und Wohnecke mit Zimmer 401B und 401C. Es ist dieser kleine Wohnbereich, der hinter der halb offenen Tür liegt. Die Musik kommt aus 401A, Bills Zimmer, dessen Tür geschlossen ist.
Ich betrete den Gemeinschaftsraum. Er ist deprimierend kahl, und die vom College gestellte Einrichtung – eine Vinylcouch und ein paar Sessel – hat schon bessere Tage gesehen. An den Wänden hängt kein einziges Poster, aber dafür quillt der einzige Abfalleimer über. Essensverpa ckungen vom Chinesen und einer Pizzeria sowie eine nicht geringe Anzahl von Flaschen liegen daneben.
»Tja«, bemerkt Tom versnobt, »es ist wohl nicht zu übersehen, dass man in diesem Apartment keinen großen Wert auf Recycling legt, nicht?«
Die Türen zu 401B und 401C stehen beide weit offen. Die Zimmer sind unbelegt, die Einzelbetten abgezogen, die Wände wie im Gemeinschaftsraum kahl. Hier hat seit einer Weile niemand mehr gewohnt.
»Sieht so aus, als hätte der gute alte Bill Bigelow das Apartment ganz für sich allein«, sagt Tom. Er gibt sich keine Mühe, leise zu sprechen. Es ist ausgeschlossen, dass
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