Keine Zeit für Vampire
passiert.«
»Ihr sagt, er wurde im Wald ermordet. Welchen Wald meint Ihr?«
»Das weiß ich leider nicht genau. Du hast nur ganz allgemein von einem Wald gesprochen. Soweit ich heute Nacht gesehen habe, ist die ganze Gegend um die Burg herum bewaldet. Dann gibt es da auch noch diesen seltsamen Wald, in dem ich das wirbelnde Ding entdeckt habe, das mich rückwärts durch die Zeit geschickt hat. Gretl hat behauptet, dass es dort spuken würde und dass die Menschen aus der Gegend es schon lange vermeiden würden, ihn zu betreten. Nach all dem, was mir dort widerfahren ist, ist das nur mehr als verständlich. Leider weiß ich auch nicht mehr, wo dieser Wald sich befindet, denn ich scheine unter Erinnerungslücken zu leiden, aber ich habe vor, mich auf die Suche nach ihm zu machen, sobald ich ein wenig geschlafen habe. Hat dein Vater in einem der Wälder eventuell einen Lieblingsplatz, wo er besonders gern hingeht?«
»Soweit ich weiß, nicht. Er geht gern auf die Jagd, aber dafür bevorzugt er kein bestimmtes Gebiet.« Sie rang die Hände, und ihre Miene verriet die Qualen, die sie litt. »Ich weiß nicht, wie ich Euch dafür danken soll, dass Ihr durch die Jahrhunderte zurückgereist seid, um unsere Familie vor dieser Tragödie zu bewahren. Es ist wahrlich ein Wunder, dass Ihr zu uns gekommen seid. Das Schicksal meint es gut mit uns. Es hat Euch geschickt, um Papa zu retten.«
»Ich glaube nicht ans Schicksal«, erklärte ich vorsichtig, denn das eifrige Glühen in ihren Augen war mir nicht ganz geheuer. »Ich glaube, dass die Menschen Herr über ihre Zukunft sind und nicht nur hilflose Spielbälle des Zufalls. Aber zurück zum Thema – da deine Onkel nicht in der Nähe sind, ist dies wahrscheinlich doch nicht das Jahr, in dem dein Vater ermordet wurde, was mich, ehrlich gesagt, aufrichtig freut. Ich möchte keinen Mord miterleben und schon gar nicht, dass einem so leckeren Kerl wie Nikola etwas zustößt. Wackeren. Ich wollte wackeren sagen. Ganz sicher nicht leckeren.«
»Dass Ihr meinen Vater sexuell anziehend findet, stört mich nicht«, meinte sie gleichmütig. »Er ist ein attraktiver Mann, und meine Mutter ist schon seit vielen Jahren tot. Er ist einsam. Er begehrt die Frauen, doch wenn sich ihm eine anbietet, will er sie nicht. Es ist verwunderlich. Mein Bruder sagt … aber das interessiert Euch sicher nicht. Ich muss jetzt in Ruhe überlegen, wie ich meinen Vater am besten auf das Problem mit seinen Brüdern ansprechen könnte. Ich bin Euch wirklich dankbar, dass Ihr eine so weite Reise unternommen habt, um ihn zu retten.«
»Was das angeht«, entgegnete ich zögerlich, »Ich bin nicht durch die Zeit gereist, um Nikola zu retten. Natürlich möchte ich das, sofern es machbar ist, auch wenn dein Vater rechthaberisch ist und verstaubte Ansichten vertritt. Davon abgesehen scheint er, obwohl er ein Vampir ist, aber ganz nett zu sein. Es gehört nur leider etwas mehr dazu, ihn zu retten, als ihn nur davor zu warnen, dass seine Brüder vorhaben, ihn zu einem uns unbekannten Zeitpunkt auszuschalten. Denn erstens wissen wir eben nicht, wann es passieren wird … Moment mal.« Eine vage Erinnerung kam mir wieder in den Sinn. »Dein Vater hat gesagt, er wäre über sechzig Jahre alt, oder?«
»Ja.«
»Er sieht nicht älter aus als dreißig oder höchstens zweiunddreißig«, sagte ich kopfschüttelnd.
»Er ist ein Dunkler. Er altert körperlich nur, wenn er es wünscht.«
»Das ist es.« Ich schob den Gedanken, dass ich scharf auf einen sechzigjährigen Vampir war, erst einmal beiseite und konzentrierte mich auf das Wesentliche. Laut Nikola war Imogen zwanzig Jahre alt. Nun war mir wieder eingefallen, dass Imogen erwähnt hatte, beim Tod ihres Vaters zweiundzwanzig Jahre alt gewesen zu sein. Somit wussten wir, wann sich die schicksalhaften Ereignisse zutragen würden: in zwei Jahren.
Allerdings behielt ich mein Wissen für mich. Ihn zu retten würde höchstwahrscheinlich schon die ganze Zukunft durcheinanderbringen. Imogen oder womöglich sogar Nikola selbst sein Todesdatum zu verraten, würde es bestimmt nur noch schlimmer machen. »Wenn mir doch nur eine Lösung für dieses blöde Paradoxon einfallen würde«, sagte ich mehr zu mir selbst als zu Imogen.
»Paradoxon? Was meint Ihr?«, wollte Imogen wissen und sah schon wieder besorgt aus.
»Das, was passiert, wenn man die Vergangenheit verändert. Dieser Punkt lässt sich nicht eindeutig klären. Es gibt verschiedene Annahmen darüber, welche Konsequenzen
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