Keine Zeit für Vampire
wenige Minuten vergangen wären, als Robert das Zimmer mit einem Tablett betrat, auf dem eine hübsche Teekanne und dazu passendes Geschirr standen.
»Lady Imogen meint, dass Ihr wollt nehmen Tee«, sagte Robert und stellte das Tablett ziemlich achtlos ab.
»Klingt gut. Aber seien Sie vorsichtig mit dem Service, das ist eine Antiquität!«
Robert sah die Teekanne an und zog die makellos gezupften Augenbrauen fast bis zum Haaransatz seiner Perücke hoch. »Das ist nicht wahr. Der Monseigneur hat es gebracht vor einige Jahre aus Paris.«
»Also für mich ist es schon eine Antiquität. Also seien Sie etwas vorsichtiger.«
Robert verdrehte theatralisch die Augen, drehte sich exaltiert wie ein Model auf dem Laufsteg um und schlenderte zur Tür.
»Können Sie mir sagen, wie spät es ist?«, rief ich ihm nach und streckte mich.
»Es ist halb nach fünf Uhr. Lady Imogen wünscht zu erfahren, ob Ihr mit ihr das Abendessen einnehmen werdet.«
»Halb sechs! Heiliges Zeitloch, Batman! Ich sitze hier schon vier Stunden?« Ich betrachtete den Papierstapel voller Tintenkleckse und musste mir eingestehen, dass ich das angerichtet hatte. »Junge, die Zeit verfliegt nur so beim Schreiben. Imogen fragt wegen des Abendessens? Nein, dafür habe ich keine Zeit. Ich muss die Wälder nach dem wirbelnden Ding absuchen. Aber erst mal eine Pipipause. Hoffentlich gibt es hier unten auch so eine abenteuerliche Vorrichtung wie oben in der kleinen Kammer.«
Beim Gedanken an meinen Toilettenbesuch im ersten Stock bekam ich eine Gänsehaut. Dabei handelte es sich eher um ein Campingklo als um eine echte Toilette – quasi ein mit einem Holzverschlag umbauter Nachttopf mit Deckel. Augenscheinlich war die Wasserspülung noch nicht erfunden worden. Was es wohl sonst noch alles nicht gab? Auf jeden Fall fließendes Wasser und Strom im Haus. Wie stand es wohl um so essenzielle Dinge wie Gesundheitsfürsorge? Hatte man in dieser Zeit schon richtige Ärzte? Derjenige, den ich wegen meiner Geistesstörung aufsuchen wollte, hatte sich ja als Tierarzt entpuppt. Ob sie wohl noch immer Blutegel als Therapie verwendeten?
Bei dem Gedanken, wie knapp ich um eine Blutegelanwendung herumgekommen war, schauderte es mich schon wieder. Noch ein Grund mehr, sich auf die Suche nach dem wirbelnden Zeitportal zu machen.
»Abenteuerliche Vorrichtung?«, fragte Robert relativ desinteressiert nach. »Ich verstehe nicht.«
»Die Toilette. Oder … ähm … der Nachttopf. Gibt es so etwas auch hier unten?«
» Oui . Neben die Küchengarten befindet sich eine Abort. Eine zusätzliche chambre de convenience findet Ihr bei die Hintertreppe. Lady Imogen bevorzugt dies. Sie sagt, Monseigneur Benedikt zielt äußerst terrible.«
»Danke, das war sehr informativ. Ich werde es schon finden.« Ich räumte so gut es ging wieder auf und hoffte, dass Imogen nicht auffallen würde, dass ich ihre lederne Schreibtischunterlage mit Tinte bekleckst hatte. »Und jetzt sollte ich mich aufmachen und das wirbelnde Ding suchen.«
Über meine Erlebnisse in der chambre de convenience schweige ich lieber (seid dankbar dafür). Nachdem ich fertig war und mithilfe der einhändigen Dienstmagd Elizabet die vielen Röcke, die ich trug, wieder zurechtgerückt hatte – wobei ich heilfroh war, Imogens Angebot, mir ein Korsett zu leihen, ausgeschlagen und stattdessen meinen BH behalten zu haben –, war schon wieder eine halbe Stunde vergangen und mir blieb nicht mehr viel Zeit für meine Suche in den Wäldern.
»Gut«, sagte ich laut zu mir und durchquerte entschlossen die Halle. »Los geht’s. Zuerst brauche ich ein Pferd. Dann fange ich in dem Wald, in dem ich laut Nikola vor seine Kutsche gelaufen bin, an zu suchen. Ich werde überprüfen, ob das wirbelnde Ding dort ist, und danach …«
Meine Gedankenkette riss ab und ich blieb stehen. Was würde ich tun, wenn ich tatsächlich den richtigen Wald und das Portal fand? Würde ich einfach so in meine Zeit zurückspringen, ohne mich auch nur von Nikola zu verabschieden?
Das erschien mir falsch. Ich wollte vielleicht nicht mit ihm ins Bett – mein Verstand registrierte, dass das eine Lüge war, nahm sie aber ohne Widerspruch hin –, doch das hieß noch lange nicht, dass ich ihn seinen Brüdern ausliefern würde. Was, wenn Imogen ihm nichts von deren Mordabsichten erzählte? Und was, wenn sie es ihm verriet und er, ein ganzer Mann und der Überzeugung, dass er alles besser wusste, es ihr nicht glaubte oder aber nicht rechtzeitig etwas
Weitere Kostenlose Bücher