Keine Zeit für Vampire
gewissem Sinn hatte ich das ja schon durch meine Zeitreise getan, aber das hier war etwas ganz anderes. »Das ist ja unglaublich«, sagte ich und atmete langsam wieder aus. Fasziniert sah ich mich im Raum um. Er war L-förmig geschnitten, und durch die hohen Fenster fiel Sonnenlicht auf den Fußboden, der mit Orientteppichen bedeckt war. Tische verschiedener Größe und Form, von kleinen runden Beistelltischchen bis zu wuchtigen Schreibtischen, waren im ganzen Raum verteilt, und auf allen stapelten sich Unmengen an Papieren, Büchern und seltsamen Gerätschaften. In einem schwarzen Metallkäfig saß ein mechanischer Vogel, der zu singen begann, als ich an ihm vorbeistolperte. Ich war so von allem um mich herum gefesselt, dass ich nicht darauf achtete, wo ich hintrat. Vor einem Himmelsglobus, auf dem die Sternbilder dargestellt waren, stand ein Mörser mit Stößel aus Marmor, und unter ihnen lag ein Stapel mit technischen Skizzen, die mir sehr bekannt vorkamen. Ich ging hin und nahm mir das obere Blatt – und bekam bei dem Anblick große Augen.
»Das ist eine Flugzeug-Zeichnung von da Vinci.« Ich hielt Nikola das Blatt hin. Er saß an einem monströsen Ebenholzschreibtisch, auf dem sich noch mehr Bücher stapelten. »Eine echte da Vinci-Skizze!«
Nikola, der an einer etwa einen Meter großen mechanischen Figur eines Afrikaners, komplett mit Turban und Speer, herumbastelte, sah auf und meinte nur: »Ach, du bist es.«
Ich schob mich an einigen Bücherstapeln auf dem Boden, einem Teeservice und zwei rotbraunen Katzen, die sich vor dem Kamin zusammengerollt hatten, vorbei. »Nikola, das ist ein da Vinci!«
Er besah sich den Bogen. »So ist es. Allerdings ein wenig praktikabler Entwurf. Aber einige der Details gefielen mir, besonders die Flügel. Vogelschwingen zu imitieren, indem man ein hölzernes Skelett mit Leder bezieht – eine faszinierende Idee, einfach faszinierend.«
»Du verstehst nicht, was ich meine. Das ist …« Erschrocken registrierte ich, dass ich gedankenlos mit dem Papier herumgewedelt hatte, und zwang mich, es vorsichtig abzulegen. »Das ist ein da Vinci. Ein Original. Es ist unbezahlbar und gehört in ein Museum.«
»Da bin ich anderer Ansicht«, entgegnete er und widmete sich wieder der Statue. »Ich habe diverse Notizbücher mit derartigen Skizzen erstanden, aber sie erschienen mir zum Großteil wenig sinnvoll. Kreativ ja, aber nicht besonders nützlich.«
»Nicht nützlich …«, murmelte ich, taumelte auf einen breiten Sessel zu und ließ mich hineinfallen. Ermattet fragte ich Nikola: »Was machst du da eigentlich?«
»Ich arbeite an meinem Roboter. Er bleibt ständig stehen.« Er sah zu mir herüber. »Bist du aus einem bestimmten Grund hier, oder willst du mich nur ganz allgemein mit deinen Brüsten und Schenkeln und dem Ganzen dazwischen in Versuchung führen?«
Bei ›Brüsten‹ horchte ich auf, fuhr hoch und funkelte ihn böse an. »Ich dachte, dafür hättest du diese Kuhmagd, von der alle sagen, dass du scharf auf sie bist.«
»Scharf?« Er blinzelte und zog dann unter einem Stapel Papier sein Notizheft hervor. »Was bedeutet das Wort in diesem Zusammenhang?«
»Wag es ja nicht, mich so etwas zu fragen und dadurch liebenswürdig naiv zu erscheinen!« Ich sprang auf und deutete mit dem Finger auf ihn. »Ich hab dich durchschaut, Freundchen! Du machst vorsätzlich auf niedlich, damit ich vergesse, dass du eine Kuhmagd hast und gleichzeitig im Restaurant Io einkehrst. Aber das funktioniert nicht, hast du mich verstanden? Ich lasse mich nicht von dir einlullen!«
Er legte das winzige Werkzeug, mit dem er gearbeitet hatte, aus der Hand, lehnte sich zurück und musterte mich. »Dann werde ich meine permanenten und gleichzeitig unfruchtbaren Versuche, dich mit meiner nicht unbeachtlichen Belesenheit zu beeindrucken, einstellen. Bist du hier, weil du glaubst, ich muss trinken und nur du seiest in der Lage, diese Funktion zu erfüllen? Wenn ja, so kann ich dir versichern, dass ich deine Gutmütigkeit in dieser Hinsicht nicht noch einmal ausnutzen werde. Im Dorf gibt es eine große Anzahl an Männern und Frauen, die mich in den letzten neununddreißig Jahren mit Nahrung versorgt haben und die dies auch noch mindestens weitere neununddreißig Jahre tun werden. Da ich ja nun unsterblich bin, werden es wohl eher mehr sein, aber ich will lieber keine Mutmaßungen anstellen. Also, Weib, fort mit dir und deinem Blut! Ich begehre weder das eine noch das andere.«
Während er seine kleine
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