Keine Zeit für Vampire
festgestellt hätte, dass in der Zwischenzeit alle meine Sachen gestohlen worden wären und daraufhin einen Anfall geistiger Verwirrung erlitten hätte (was sie mir sofort abnahm – gemein), der dazu führte, dass ich ziellos umherwanderte, bis ich schließlich Beistand bei einem netten Menschen, nämlich Nikola, fand.
Sie sah Nikola nur einmal an, und alle Bedenken, die sie womöglich bei der Vorstellung hatte, dass ich einige Tage mit einem Fremden verbracht hatte, schienen zu verpuffen. Sie musterte ihn einige Sekunden und sprach ihn dann auf Deutsch an.
Er antwortete ihr auf Englisch. »Ich habe in dieser Gegend Verwandte. Ich war zu Besuch bei ihnen, als mir die verirrte Io über den Weg lief. Sie wirkte durcheinander und wusste nicht, wo sie sich befand …«
Bemerkenswert, wie du ihr die volle Wahrheit erzählst und es dabei schaffst, sie so zu formulieren, dass sie nicht gleich die Polizei ruft.
Das ist eine besondere Gabe, erwiderte er bescheiden.
»Worauf ich selbstverständlich mein Möglichstes tat, um ihr eine sichere Bleibe zu gewähren.«
Nachdem du behauptet hast, ich wäre eine Prostituierte.
In Anbetracht der Umstände schien mir das wahrscheinlich. Ich darf anmerken, dass ich mich für diese irrige Annahme bereits mehrfach entschuldigt habe.
Einmal. Du hast dich ein einziges Mal entschuldigt. Einmal ist nicht mehrfach. Und wage es ja nicht zu behaupten, ich würde Erbsen zählen. Ich weiß, dass ich das tue. Aber ich fand es wichtig, noch einmal zu erwähnen, dass du mich schon lange, bevor ich dich sexuell belästigt habe, für eine Hure gehalten hast.
Warum zählst du Erbsen?, fragte er aufrichtig verwirrt.
Das mit den umgangssprachlichen Ausdrücken erkläre ich dir so bald wie möglich, versprach ich und konzentrierte mich wieder auf Gretl, die Nikola höflich dafür lobte, dass er mich aufgenommen hatte, und mich behutsam schalt, weil ich nicht angerufen hatte.
»Tut mir leid, ich hatte deine Telefonnummer vergessen, und mein Handy hatte ich ja nicht mehr«, log ich und dankte Gott dafür, dass ihre Nummer nicht im Telefonbuch stand. »Nikola hat mich so schnell wie möglich hergebracht, und dann ist mir auch deine Telefonnummer wieder eingefallen, und jetzt sind wir alle hier.«
»Genau«, sagte sie gedehnt und musterte zuerst Nikola und dann mich. Ich glaube nicht, dass sie mir meine Geschichte abnahm, aber glücklicherweise war sie so sehr von Nikola eingenommen, dass sie mich nicht weiter über meine verschwundenen Besitztümer ausfragte. »Bleiben Sie auch hier?«
Was sie eigentlich damit meinte, war, ob Nikola bei mir bleiben würde.
Ich grinste und bemühte mich, möglichst nicht auszusehen wie eine Frau, die sich von Männern abschleppen lässt, die sie erst wenige Stunden kennt. »Ja, Nikola würde gerne den Jahrmarkt besuchen, solange er noch in der Stadt ist, und außerdem möchte er mir die Umgebung zeigen. Also dachte ich mir, wir bleiben im Hotel, damit wir dich nicht stören, falls wir erst spät abends zurückkehren.«
»Wie rücksichtsvoll von dir«, sagte sie. Dabei zuckten ihre Lippen ein wenig. Dann betrachtete sie wieder Nikola und runzelte dabei ganz leicht die Stirn. »Kennen wir uns irgendwoher? Sie kommen mir bekannt vor, aber ich kann mich nicht erinnern, dass wir uns schon einmal begegnet wären.«
Nikola vollführte eine elegante Verbeugung, die mir Schmetterlinge im Bauch verursachte. »Ich glaube, ich hatte bisher noch nicht die Ehre.«
»Ähm … Nikola ist zufälligerweise mit Imogen verwandt.«
»Tatsächlich?« Gretl sah erfreut aus. Nikola dagegen überrascht. »Imogen ist eine gute, alte Freundin von mir. In welchem Verwandtschaftsverhältnis stehen Sie zu ihr?«
»Er ist ihr … ähm … Cousin.«
Das bin ich ganz und gar nicht.
Nein, aber ich werde auf gar keinen Fall versuchen, ihr klarzumachen, dass du Imogens Vater bist, obwohl du jünger aussiehst als Gretl. Für all die Leute, die sich nicht mit Vampiren und der Unsterblichkeit auskennen, musst du eben ihr Cousin sein.
»Er sieht Imogens Bruder ähnlich. Wahrscheinlich kommt er dir deshalb bekannt vor.«
»Benedikt sieht mir ähnlich«, erklärte Nikola mit Nachdruck.
Ich musste grinsen. Ich nahm Gretl meine Sachen ab und steckte meinen Pass und die Kreditkarten ein. »Sollen wir uns zum Abendessen treffen? Ich werde uns erst einmal ein Zimmer besorgen und endlich ein richtiges Bad nehmen … ähm … also, ein Bad nehmen. Es wäre schön, wenn wir uns dann zum Essen treffen
Weitere Kostenlose Bücher