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Keine zweite Chance

Keine zweite Chance

Titel: Keine zweite Chance Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Coben
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Krankenhaus gefahren. Ich fragte mich, wie oft ich seitdem auf dieser Straße unterwegs gewesen war. Komische Idee, aber die Gedanken gehen ihre eigenen Wege.
    Ich bog rechts in die Monroe Street ein und fuhr am Haus meiner Eltern vorbei. Es war dunkel, bis auf die eine Lampe im Erdgeschoss. Sie wurde von einer Zeitschaltuhr gesteuert und brannte immer von sieben Uhr abends bis fünf Uhr morgens. Ich hatte eine dieser langlebigen Energiesparbirnen eingebaut, die wie Softeis-Spiralen aussehen. Mom war ganz begeistert, wie lange die schon hielt. Dann hatte sie irgendwo noch gelesen, dass man Einbrecher auch gut verscheuchen konnte, indem man die ganze Nacht das Radio laufen ließ. Also hatte sie ein altes Mittelwellenradio ausgegraben und auf einen Nachrichtensender ohne Musik eingestellt. Das Problem war, dass sie dabei nicht einschlafen konnte. Sie hatte es dann so leise gestellt, dass ein Einbrecher praktisch das Ohr ans Radio drücken müsste, bevor er sich davon in die Flucht schlagen lassen konnte.
    Ich wollte in meine Straße, die Darby Terrace, einbiegen, als Rachel sagte: »Langsam.«
    »Bewegen sie sich?«
    »Nein. Das Signal kommt immer noch von deinem Haus.«

    Ich blickte die Straße entlang. Dann fing ich an zu überlegen. »Sie sind nicht direkt hierher gefahren.«
    Sie nickte. »Ich weiß.«
    »Vielleicht haben sie den Q-Logger entdeckt?«, sagte ich.
    »Genau das hab ich auch gerade gedacht.«
    Zentimeter für Zentimeter kroch der Wagen vorwärts. Wir waren vor dem Haus der Citrons, zwei vor meinem. Hier brannte gar kein Licht – nicht einmal eine zeitschaltuhrgesteuerte Lampe. Rachel kaute auf ihrer Unterlippe. Jetzt waren wir am Haus der Kadisons und näherten uns meiner Einfahrt. Es war eine dieser Situationen, die man gerne als zu ruhig beschreibt, in der es schien, als wäre die Welt eingefroren, als bemühte sich alles, was man sah, selbst bewegliche Objekte, stillzustehen.
    »Das muss eine Falle sein«, sagte sie.
    Ich wollte gerade fragen, was wir jetzt machen sollten – zurückfahren, parken und zu Fuß gehen, die Polizei rufen? –, als die erste Kugel die Windschutzscheibe durchschlug. Glassplitter flogen mir ins Gesicht. Ich hörte einen kurzen Schrei. Instinktiv duckte ich mich und hob den Unterarm. Als ich nach unten sah, war dort Blut.
    »Rachel!«
    Der zweite Schuss sirrte so dicht an meinem Kopf vorbei, dass ich die Kugel in den Haaren spürte. Der Einschlag in meinen Sitz klang, als würde man auf ein Kissen schlagen. Wieder übernahm der Instinkt die Kontrolle über mich. Aber dieses Mal hatte er ein Ziel oder zumindest eine Richtung. Ich trat aufs Gas. Der Wagen schlingerte vorwärts.
    Das menschliche Gehirn ist ein faszinierendes Instrument. Kein Computer kann da mithalten. Es kann Millionen von Reizen in einer Hundertstelsekunde verarbeiten. Und das hatte meins wohl gerade getan. Ich saß geduckt auf dem Fahrersitz. Jemand schoss auf mich. Mein Kleinhirn wollte fliehen, aber etwas,
das in der Evolution erst später hinzugekommen war, erkannte, dass es eine bessere Möglichkeit gab.
    Bis ich diesen Gedanken gefasst hatte, war – grob geschätzt – nicht einmal eine Zehntelsekunde vergangen. Ich hatte den Fuß auf dem Gaspedal. Die Reifen quietschten. Ich hatte mein Haus, den Garten und die Richtung, aus der die Schüsse gekommen waren, vor Augen. Ja, ich weiß, wie das klingt. Vielleicht beschleunigt die Panik diese Denkvorgänge, das kann ich nicht sagen, aber mir wurde klar, dass ich mich als Schütze hinter den drei Sträuchern versteckt hätte, die die Grenze zwischen unserem Grundstück und dem der Christies bildeten. Die Sträucher waren groß, buschig und standen direkt neben der Einfahrt. Wenn ich da hineingefahren wäre, hätte man uns, peng, direkt von der Beifahrerseite wegpusten können. Wegen meines Zögerns hatte der Schütze offenbar gefürchtet, dass wir umkehren könnten, und seine immer noch gute Position genutzt, um von vorne auf uns zu schießen.
    Also sah ich nach vorn, schlug das Lenkrad nach rechts ein und hielt auf die Sträucher zu.
    Ein dritter Schuss ertönte. Mit einem ka-ping prallte die Kugel von etwas Metallischem ab – wahrscheinlich dem Kühlergrill. Ich sah Rachel kurz an, doch es reichte für einen geistigen Schnappschuss: Sie hatte den Kopf gesenkt und presste sich die Hand an die linke Schläfe. Zwischen ihren Fingern sickerte Blut hervor. Mir rutschte das Herz in die Hose, aber mein Fuß blieb auf dem Pedal. Ich bewegte den

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