Keine zweite Chance
will nicht darüber reden«, wehrte ich ab.
Lenny ließ sich auf die Couch fallen. »Ich auch nicht.« Er griff in die Tasche und zog ein dickes Bündel Papiere heraus. »Das Testament und die letzten Regelungen über Monicas Erbe. Guck es dir irgendwann an.« Er nahm die Fernbedienung und fing an zu zappen. »Hast du keinen Pornokanal?«
»Nein, tut mir Leid.«
Lenny zuckte die Achseln und gab sich mit einem College-Basketballspiel auf ESPN zufrieden. Wortlos sahen wir ein paar Minuten zu. Ich brach das Schweigen.
»Warum hast du mir nicht gesagt, dass Rachel geschieden ist?«
Lenny verzog das Gesicht vor Schmerzen und hob die Hand, als wollte er den Verkehr anhalten.
»Was ist?«, fragte ich.
»Mein Gehirn ist eingefroren.« Er ließ sich Zeit. »Ich trinke diese eisgekühlten Getränke immer zu schnell.«
»Warum hast du mir nichts davon gesagt?«
»Ich dachte, wir wollten nicht darüber reden.«
Ich sah ihn an.
»Das ist nicht so einfach, Marc.«
»Was?«
»Rachel hat schwere Zeiten hinter sich.«
»Ich vielleicht nicht?«, konterte ich.
Lenny konzentrierte sich plötzlich ziemlich auf das Spiel.
»Was ist mit ihr passiert, Lenny?«
»Kann ich dir nicht erzählen. Das steht mir nicht zu.« Er schüttelte den Kopf. »Du hast sie doch seit bald fünfzehn Jahren nicht mehr gesehen.«
Vierzehn, um genau zu sein. »Ja, so was in der Art.«
Sein Blick huschte durchs Zimmer und blieb an einem Foto von Monica und Tara hängen. Er wandte sich ab und trank von seiner Cola. »Du musst aufhören, in der Vergangenheit zu leben, mein Freund.«
Wir lehnten uns zurück und taten, als sähen wir uns das Spiel an. Aufhören, in der Vergangenheit zu leben, hatte er gesagt. Ich betrachtete Taras Foto und fragte mich, ob Lenny mehr als nur Rachel meinte.
Edgar Portman nahm die lederne Hundeleine. Er klimperte mit dem Ende. Bruno, sein preisgekrönter Bullmastiff galoppierte mit Höchstgeschwindigkeit auf das Geräusch zu. Bruno war auf der Westminster Dog Show vor sechs Jahren als Bester seiner Rasse ausgezeichnet worden. Viele meinten, er hätte auch das Zeug dazu, als bester Hund der gesamten Veranstaltung ausgezeichnet zu werden. Edgar entschloss sich jedoch, Bruno frühzeitig in den Ruhestand zu schicken. Ein Hundeschau-Champion ist nie zu Hause. Edgar wollte Bruno an seiner Seite sehen.
Menschen hatten Edgar oft enttäuscht. Hunde nie.
Bruno ließ die Zunge heraushängen und wedelte mit dem Schwanz. Edgar befestigte die Leine am Halsband. Sie würden eine Stunde unterwegs sein. Edgar blickte auf seinen Schreibtisch herab. Auf dem glänzenden Furnier lag genau so ein Paket, wie er es vor achtzehn Monaten schon einmal bekommen hatte. Bruno winselte. Edgar fragte sich, ob er ungeduldig war oder ob er die Angst seines Herrchens spürte. Vielleicht beides.
Egal. Edgar musste an die Luft.
Das Paket von vor achtzehn Monaten war allen erdenklichen forensischen Tests unterzogen worden. Trotzdem hatte die Polizei nichts herausbekommen. Aufgrund dieser Erfahrung war Edgar ziemlich sicher, dass die Versager von den Strafverfolgungsbehörden wieder nichts finden würden. Vor achtzehn Monaten hatte Marc nicht auf ihn gehört. Edgar hoffte, dass er diesen Fehler nicht noch einmal machen würde.
Er ging los. Bruno lief voraus. Die frische Luft tat Edgar gut. Er
schritt kräftig aus und atmete tief durch. Das änderte seine trüben Aussichten nicht, doch er fühlte sich besser. Edgar und Bruno nahmen den üblichen Weg, dann jedoch wandte Edgar sich nach rechts. Das Familiengrab. Er kam jeden Tag daran vorbei und nahm es deshalb gar nicht mehr richtig wahr. Er ging nie zu den Grabsteinen. Aber heute fühlte er sich plötzlich zu ihnen hingezogen. Bruno folgte ihm etwas zögernd, überrascht von der Abweichung von seinem üblichen Rundgang.
Edgar stieg über den kleinen Zaun. Schmerz durchzuckte sein Bein. Das Alter. Das Gehen fiel ihm immer schwerer. Er benutzte jetzt öfter einen Stock — er hatte sich einen gekauft, den Dashiell Hammett angeblich während seiner Tuberkuloseerkrankung benutzt hatte –, doch aus irgendeinem Grund ließ er ihn auf den Spaziergängen mit Bruno im Haus. Da störte er irgendwie.
Bruno zögerte kurz und sprang dann über den Zaun. Sie standen vor den beiden neuesten Grabsteinen. Edgar versuchte, nicht über Leben und Tod, über Wohlstand und dessen Beziehung zum Glück ins Grübeln zu geraten. Diese Nabelschau überließ er lieber anderen. Er hatte inzwischen erkannt, dass er wohl
Weitere Kostenlose Bücher