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Keine zweite Chance

Keine zweite Chance

Titel: Keine zweite Chance Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Coben
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meinen Füßen. Ein bisschen albern kam ich mir schon vor. Ich bin nicht der Schnellste auf zwei Beinen. Viele wären wahrscheinlich sogar auf einem Bein schneller, und dennoch hetzte ich einer wildfremden Frau hinterher, weil sie vor meinem Haus gestanden hatte. Ich wusste nicht einmal, was ich mir davon versprach. Die Frau war wahrscheinlich bloß spazieren gegangen, und ich hatte sie erschreckt. Vielleicht würde sie die Polizei rufen. Deren Reaktion konnte ich mir lebhaft vorstellen. Schlimm genug, dass ich ungestraft meine Familie umbringen konnte. Jetzt jagte ich auch noch fremde Frauen durch ein Wohngebiet.
    Ich lief weiter.
    Die Frau rannte nach rechts in die Phelps Road. Ihr Vorsprung war ziemlich groß. Ich pumpte mit den Armen und zwang meine Beine, sich schneller zu bewegen. Die Steinchen auf dem Gehweg bohrten sich in meine Fußsohlen. Ich versuchte, auf dem Rasen zu bleiben. Jetzt konnte ich sie nicht mehr sehen, und ich war nicht in Form. Schon nach vielleicht hundert Metern hörte ich meinen Atem pfeifen. Meine Nase begann zu laufen.
    Ich erreichte das Ende der Straße und bog rechts ein.
    Doch es war niemand zu sehen.
    Die Straße war lang und gerade und ausreichend hell beleuchtet. Mit anderen Worten: Man hätte sie sehen müssen. Aus irgendeiner dämlichen Überlegung heraus blickte ich auch in die andere Richtung, hinter mich. Aber da war die Frau auch nicht. Ich war denselben Weg gelaufen wie sie. Ich sah den Morningside Drive hinab, doch auch da war sie nicht.
    Die Frau war verschwunden.

    Aber wie?
    So schnell konnte sie nicht gewesen sein. Das schaffte nicht einmal Carl Lewis. Ich blieb stehen, stützte mich mit den Händen auf die Knie und saugte den fehlenden Sauerstoff gierig in mich hinein. Denk nach. Okay, wohnt sie vielleicht in einem der Häuser hier? Möglich. Und was dann? Dann ist sie in dem Viertel, in dem sie wohnt, spazieren gegangen. Vielleicht ist ihr etwas aufgefallen, das ihr komisch vorkommt. Sie bleibt stehen und sieht sich das genauer an.
    Genau wie vor achtzehn Monaten schon einmal?
    Na gut, erstens weißt du nicht, ob es dieselbe Frau ist.
    Also sind die beiden Frauen zufällig an genau derselben Stelle vor deinem Haus stehen geblieben und haben dann wie Statuen dagestanden?
    Ausgeschlossen ist das nicht. Oder es ist doch dieselbe Frau. Vielleicht sieht sie sich gern Häuser an. Vielleicht ist sie Architektin oder so.
    Klar doch, die faszinierende Architektur der Einfamilienhäuser aus den Siebzigern. Und wenn sie keine Hintergedanken gehabt hat, warum ist sie dann weggelaufen?
    Ich weiß nicht, Marc, aber eventuell — und das ist nur so ein Schuss ins Blaue — eventuell, weil ein Irrer hinter ihr her war?
    Ich schob die Gedanken beiseite, lief wieder los und suchte nach irgendetwas. Doch als ich am Haus der Zuckers vorbeikam, blieb ich wie angewurzelt stehen.
    Kann das sein?
    Die Frau ist einfach verschwunden. Ich habe auf den beiden Straßen nachgesehen, die von hier wegführten. Da ist sie nicht gewesen. Das bedeutete: A) Sie wohnt in einem der Häuser, oder B) Sie hat sich versteckt.
    Oder C) Sie hat den Zucker-Weg durch das Wäldchen genommen.

    Als ich klein war, nahmen wir manchmal die Abkürzung durch den Garten der Zuckers. Ein schmaler Pfad führte zu den Sportplätzen der Middle School. Er war nicht leicht zu finden, und die alte Frau Zucker mochte es nicht, wenn wir durch ihren Garten gingen. Sie sagte nie etwas, aber sie stand immer mit ihren hochtoupierten, wie ein glasierter Donut glänzenden Haaren am Fenster und warf uns böse Blicke zu. Nach einer Weile benutzten wir den Weg nicht mehr, sondern gingen stattdessen außen herum.
    Ich schaute nach links und rechts. Die Frau war nicht zu sehen.
    Konnte sie den Pfad kennen?
    Ich rannte in den dunklen Garten der Zuckers. Fast rechnete ich damit, dass die alte Frau Zucker am Küchenfenster stehen und mich böse anstarren würde, doch sie war schon vor Jahren nach Scottsdale gezogen. Ich wusste nicht, wer jetzt hier wohnte. Ich wusste nicht einmal, ob es den Pfad noch gab.
    Im Garten war es stockfinster. Im Haus brannte kein Licht. Ich überlegte, wo genau der Pfad angefangen hatte. Doch das kostete mich praktisch keine Zeit. Solche Sachen weiß man einfach. Ich rannte darauf zu und bekam einen Schlag an den Kopf. Dann fiel ich hart auf den Rücken.
    In meinem Kopf drehte sich alles. Ich schaute nach oben. Im schwachen Mondschein erkannte ich eine Schaukel. Eine von den edlen mit Holzgerüst. Die war früher

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