Keine zweite Chance
nicht hier gewesen, und ich hatte sie im Dunkeln nicht gesehen. Ich war noch immer benommen, durfte jedoch keine Zeit verlieren. Beherzt sprang ich auf und konnte mich kaum auf den Beinen halten.
Der Pfad war noch da.
Ich folgte ihm, so schnell ich konnte. Die Zweige schlugen mir ins Gesicht. Das kümmerte mich nicht. Ich stolperte über eine Wurzel. Das kümmerte mich nicht. Der Zucker-Weg war nicht lang, nur etwa fünfzehn Meter. Dahinter lag eine große offene Fläche mit Fußball- und Baseball-Feldern. Ich kam immer noch
ziemlich zügig voran. Wenn sie diesen Weg eingeschlagen hatte, würde ich sie auf den Sportplätzen sehen.
Ich sah die Nebelschleier über den Leuchtstofflampen der Parkplätze hinter den Sportanlagen, stürmte auf die offene Fläche und sah mich um. Ich sah mehrere Fußballtore und einen Baseball-Fangzaun.
Aber keine Frau.
Mist.
Sie war mir entwischt. Schon wieder. Mein Mut sank. Na gut, wenn man es genauer bedachte, war es sowieso zwecklos. Eigentlich war die ganze Sache ziemlich lächerlich. Ich betrachtete meine Füße. Sie taten höllisch weh. Ich spürte, wie etwas, vermutlich Blut, meine rechte Fußsohle entlanglief. Ich kam mir vor wie ein Idiot. Schlimmer noch, wie ein gescheiterter Idiot. Ich drehte mich um und wollte nach Hause gehen.
Moment mal.
Hinten auf dem Parkplatz stand ein Auto. Ein einziges Auto ganz für sich allein. Ich nickte mir zu und ließ meinen Gedanken freien Lauf. Angenommen, das Auto gehört der Frau. Könnte doch sein? Und selbst wenn nicht, was hatte ich schon zu verlieren? Doch es konnte gut sein, dass es ihres war, dass sie ihren Wagen hier abgestellt hatte. Sie parkt, geht durch das Wäldchen und stellt sich vor mein Haus. Warum sie das tat, konnte ich nicht sagen. Aber für den Anfang reichte mir das.
In Ordnung, wenn das stimmte — wenn das ihr Wagen war –, konnte ich daraus schließen, dass sie noch nicht weggefahren war. Messerscharf gefolgert. Was war also passiert? Sie wird entdeckt, sie rennt weg, sie folgt dem Pfad …
… und ihr fällt ein, dass ich ihr folgen könnte.
Fast hätte ich mit den Fingern geschnippt. Die geheimnisvolle Frau könnte wissen, dass ich hier in der Gegend aufgewachsen war und mich womöglich an den Pfad erinnern würde. Und wenn
ich das tat, wenn jemand darauf kam (wie ich es getan hatte), dass sie den Pfad nehmen könnte, würde man sie auf der Freifläche sehen. Was konnte sie also tun?
Nach kurzem Überlegen kam ich ziemlich schnell auf die Antwort.
Sie konnte sich im Wäldchen neben dem Pfad verstecken.
Wahrscheinlich beobachtete die geheimnisvolle Frau mich gerade in diesem Moment.
Ja, ich weiß, dass dieser Gedankengang kaum mehr als eine vage Mutmaßung war. Aber ich fand ihn plausibel. Absolut plausibel. Was sollte ich jetzt tun? Ich seufzte laut und sagte: »Mist.« Ich ließ die Schultern sinken, als wäre die Luft aus ihnen entwichen, und versuchte, nicht allzu übertrieben enttäuscht zu wirken, während ich den Pfad zum Haus der Zuckers zurückstapfte. Dabei senkte ich den Kopf leicht und ließ meinen Blick unauffällig nach links und rechts schweifen. Ich ging vorsichtig, spitzte die Ohren und horchte nach einem Rascheln oder Ähnlichem.
Alles blieb still.
Am Ende des Pfads ging ich weiter, als wäre ich auf dem Weg nach Hause. Sobald ich tief im Dunkel der Nacht verschwunden war, ließ ich mich zu Boden sinken. Im Infanteristen-Stil kroch ich zurück zur Schaukel und zum Anfang des Pfads. Dort blieb ich ruhig liegen.
Ich weiß nicht, wie lange ich so wartete. Wahrscheinlich gerade mal zwei oder drei Minuten. Ich wollte schon aufgeben, da hörte ich etwas. Mit erhobenem Kopf lag ich auf dem Bauch. Die Silhouette erhob sich und ging den Pfad entlang.
Ich rappelte mich auf und versuchte, ihr möglichst leise zu folgen, aber das ging gründlich daneben. Die Frau hörte das Geräusch, drehte sich um und sah mich.
»Warten Sie«, rief ich. »Ich will nur mit Ihnen reden.«
Doch sie hatte sich schon wieder in die Büsche gestürzt. Abseits
des Pfades war das Unterholz ziemlich dicht, und es war mächtig dunkel. Ich hätte sie leicht verlieren können. Das wollte ich nicht riskieren. Nicht noch einmal. Ich konnte sie zwar nicht sehen, aber ich hörte sie.
Ich stürzte ins Dickicht und knallte praktisch sofort gegen einen Baum. Ich sah Sterne. Mann, war das eine blöde Idee gewesen. Dann verharrte ich und horchte.
Stille.
Sie war stehen geblieben. Sie hatte sich wieder versteckt. Und was
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