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Keine zweite Chance

Keine zweite Chance

Titel: Keine zweite Chance Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Coben
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kein besonders guter Vater gewesen war. Diese Rolle hatte er allerdings am Beispiel seines Vaters gelernt, der es wiederum von seinem gelernt hatte. Und im Endeffekt war die so vermittelte Distanziertheit womöglich sogar seine Rettung gewesen. Hätte er seine Kinder von ganzem Herzen geliebt, wäre er tief in ihr Leben verstrickt gewesen, dann hätte er ihren Tod wahrscheinlich nicht überlebt.
    Der Hund fing wieder an zu winseln. Edgar blickte zu ihm hinab, sah ihm tief in die Augen. »Es wird Zeit für uns, Junge«, sagte er leise. Die Haustür wurde geöffnet. Edgar drehte sich um und sah seinen Bruder Carson herausstürzen. Edgar sah den Ausdruck in seinem Gesicht.
    »Mein Gott«, rief Carson.
    »Ich nehme an, du hast das Paket entdeckt?«

    »Ja, natürlich. Hast du Marc angerufen?«
    »Nein.«
    »Gut«, sagte Carson. »Das ist ein Schwindel. Es kann gar nicht sein.«
    Edgar antwortete nicht.
    »Siehst du das etwa anders?«, wollte Carson wissen.
    »Ich weiß nicht.«
    »Du kannst doch nicht ernsthaft glauben, dass sie noch am Leben ist.«
    Edgar zog kurz an der Leine. »Wir warten am besten auf die Testergebnisse«, sagte er. »Dann wissen wir es genau.«

    Ich arbeite gerne nachts. Das war schon immer so. Mit meiner Berufswahl habe ich Glück gehabt. Ich liebe meine Arbeit. Sie ist keine Routine oder Plackerei oder etwas, womit ich nur meinen Lebensunterhalt verdiene. Ich gehe in meiner Arbeit auf. Wie ein Sportler mit Problemen, der während des Spiels alles vergisst. Und am besten bin ich im Strafraum.
    Heute Abend, drei Tage, nachdem ich Rachel begegnet war, hatte ich allerdings frei. Ich saß allein im Schlafzimmer und zappte durch die Kanäle. Wie die meisten männlichen Mitglieder unserer Spezies bin ich zu fest mit der Fernbedienung verwachsen. Ich kann stundenlang nichts angucken. Letztes Jahr haben Lenny und Cheryl mir einen DVD-Player geschenkt und mir erklärt, dass der Videorekorder den Weg des Kassettenrekorders geht. Jetzt warf ich einen Blick auf seine eingebaute Digitaluhr. Ein paar Minuten nach neun. Ich konnte noch eine DVD reinschieben und trotzdem um elf im Bett sein.
    Gerade hatte ich die Leih-DVD aus der Box geholt und wollte sie in den Player stecken — dafür hat man noch keine Fernbedienung erfunden –, als ich einen Hund bellen hörte. Ich stand auf.
Zwei Häuser weiter war eine neue Familie eingezogen. Sie hatten vier oder fünf kleine Kinder. Bei so vielen ist das schwer zu sagen. Die Gesichter verschwimmen ineinander. Ich hatte mich ihnen noch nicht vorgestellt, hatte aber den Irischen Wolfshund von der Größe eines Ford Explorers schon im Hof gesehen. Ich meinte, es wäre sein Bellen gewesen.
    Ich schob den Vorhang zur Seite und sah aus dem Fenster. Aus irgendeinem Grund — den ich nicht recht in Worte fassen kann — war ich kein bisschen überrascht von dem, was ich sah.
    Die Frau stand genau an derselben Stelle, wo ich sie achtzehn Monate vorher gesehen hatte. Der lange Mantel, die langen Haare, die Hände in den Taschen — genau wie damals.
    Ich hatte Angst, sie aus den Augen zu lassen, wollte aber auch nicht, dass sie mich sah. Ich ging in die Knie und rutschte wie ein Meisterdetektiv unters Fenster. Den Rücken und die Wange an die Wand gepresst, überlegte ich, welche Möglichkeiten ich hatte.
    Erstens: So konnte ich sie nicht sehen. Das bedeutete, dass ich es gar nicht mitbekommen würde, wenn sie jetzt einfach verschwand. Hm, nicht gut. Ich musste einen Blick riskieren. Das war das Erste.
    Ich drehte den Kopf und spähte hinaus. Da war sie. Die Frau stand noch auf der Straße, war jedoch ein paar Schritte näher ans Haus herangekommen. Ich hatte keine Ahnung, was sie damit bezweckte. Und jetzt? Zur Haustür gehen und sie begrüßen? Das klang nach einer ziemlich guten Idee. Wenn sie floh, tja, dann würde ich wohl hinter ihr herlaufen.
    Ich riskierte noch einen Blick, nur eine kurze Drehung des Kopfes, und dabei sah ich, dass die Frau direkt in mein Fenster starrte. Ich sank zurück. Verdammt. Sie hatte mich gesehen. Sie musste mich gesehen haben. Ich packte die untere Kante des Fensters, wollte es öffnen, aber sie eilte schon die Straße hinauf.
    Oh nein, diesmal nicht.

    Ich trug Operationskleidung — jeder Arzt, den ich kenne, hat ein paar Hemden und Hosen fürs Herumlungern auf dem Sofa — und war barfuß. Ich rannte zur Tür und riss sie auf. Die Frau war fast an der Kreuzung. Als sie mich sah, fing sie an zu rennen.
    Ich sprintete hinterher. Zum Teufel mit

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