Keine zweite Chance
mehrdeutigen Äußerungen nach. Für mich war dies eine Nacht größter Spontaneität. Ich entschloss mich, erst einmal so weiterzumachen.
Erstens erinnerte ich mich daran, dass Dina, als sie für mich noch die geheimnisvolle Frau auf dem Gehweg war, einen Schritt auf die Tür zu gemacht hatte. Jetzt wusste ich von Dina selbst, dass sie versucht hatte, den Mut aufzubringen, noch einmal an diese Tür zu klopfen .
Noch einmal.
Noch einmal an diese Tür zu klopfen.
Das war ein klarer Hinweis, dass Dina bei mindestens einer Gelegenheit schon einmal den Mut aufgebracht hatte, an meine Haustür zu klopfen.
Zweitens hatte Dina mir erzählt, dass sie Monica begegnet war. Ich konnte mir erst nicht vorstellen, wo das gewesen sein sollte. Monica war zwar hier im Ort aufgewachsen, doch nach allem, was ich von ihr wusste, hätte sie als Kind ebenso gut in einer
anderen, feudaleren Zeit leben können. Das Anwesen der Portmans lag am anderen Ende unseres ziemlich weitläufigen Vororts. Monica war schon früh aufs Internat gegangen. Kaum jemand im Ort hatte sie gekannt. Ich erinnere mich, sie während meines zweiten Jahres an der High School im Sommer einmal im Colony-Kino gesehen zu haben. Ich hatte sie angestarrt. Sie hatte mich geflissentlich übersehen. Monica hatte es damals perfekt drauf, die entrückte Schönheit zu geben. Als ich sie Jahre später kennen lernte — und sie sich an mich heranmachte –, hatte diese Schmeichelei gereicht, um mir den Kopf zu verdrehen. Aus der Ferne hatte sie so fantastisch gewirkt.
Und wie, fragte ich mich, war meine reiche, entrückte, schöne Frau der armen, öden Dina Levinsky begegnet? Die wahrscheinlichste Antwort, wenn man das noch einmal berücksichtigte, war die, dass Dina an die Tür geklopft und Monica ihr geöffnet hatte. Da waren sie sich begegnet. Wahrscheinlich hatten sie sich unterhalten. Wahrscheinlich hatte Dina Monica von ihrem versteckten Tagebuch erzählt.
Du weißt, wer auf dich geschossen hat, nicht wahr, Marc?
Nein, Dina. Aber ich beabsichtige, es herauszufinden.
Ich stand unten im Keller. Überall waren Kartons gestapelt, von denen ich nie einen wegwerfen oder öffnen würde. Wohl zum ersten Mal fiel mir auf, dass der Zementboden voller Farbkleckse war. In den unterschiedlichsten Farben. Sie stammten vermutlich noch von damals, als Dina hier gewohnt hatte, erinnerten an den einzigen Ort, an dem sie Zuflucht gefunden hatte.
Die Waschmaschine und der Trockner standen hinten links in der Ecke. Langsam ging ich im schummrigen Licht darauf zu. Ich ging sogar auf Zehenspitzen, als fürchtete ich, Dinas schlafende Hunde zu wecken. Albern eigentlich. Ich bin, wie gesagt, nicht abergläubisch, und selbst wenn ich an böse Geister und Ähnliches glauben würde, hätte ich keinen Grund gehabt, zu befürchten,
dass ich sie gegen mich aufbringen könnte. Meine Frau war tot. Meine Tochter wurde vermisst — was sollten sie mir noch antun? Im Prinzip müsste ich sie aufschrecken, sie zum Handeln verleiten und hoffen, dass sie mir verrieten, was wirklich mit meiner Familie und vor allem mit Tara geschehen war.
Da war sie wieder. Tara. Irgendwie drehte sich alles um sie. Ich weiß nicht, was sie damit zu tun hatte. Ich weiß nicht, welche Verbindung zwischen der Entführung und Dina Levinsky bestand. Wahrscheinlich gar keine. Doch ich kehrte nicht um.
Weil Monica mir nämlich nie erzählt hatte, dass sie Dina Levinsky begegnet war.
Das fand ich eigenartig. Diese Theorie ist natürlich ziemlich aus der Luft gegriffen. Aber wenn Dina wirklich geklopft hatte, wenn Monica ihr wirklich geöffnet hatte, sollte man meinen, dass meine Frau mir das irgendwann erzählt hätte. Sie wusste schließlich, dass ich mit Dina Levinsky zur Schule gegangen war. Warum hätte sie ihren Besuch — oder die Tatsache, dass sie sie kennen gelernt hatte — geheim halten sollen?
Ich kletterte auf den Trockner. Ich musste gebückt stehen und dabei gleichzeitig nach oben sehen. Alles war voll Staub. Dazwischen Spinnweben. Ich sah das Rohr und streckte meine Hand danach aus. Ich hob die Deckenplatte an und versuchte, hinter das Rohr zu greifen. Es war schwierig, denn dort verliefen mehrere Leitungen, und mein Arm passte kaum zwischen ihnen hindurch. Ein kleines Mädchen mit dünnen Armen hätte es leichter gehabt.
Schließlich hatte ich meine Hand doch hindurchgezwängt. Ich schob die Fingerspitzen nach rechts und drückte die Hand nach oben. Nichts. Meine Hand kroch noch etwas weiter nach rechts
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