Keinen Plan, ein Paar Socken und 1000 km vor sich...
Das erste Mal fühle ich mich ein bisschen
alleine. Aber ein paar Meter später sitzt auf der Terrasse ein mir bekanntes
Gesicht – Sandy. Also setze ich mich dazu und wir sprechen über Gott und die
Welt. Im wahrsten Sinne des Wortes. Er ist ein Pastor der First United
Methodist Church und sieht weder aus wie der typische Priester, noch verhält er
sich wie einer, oder teilt sämtliche Ansichten der Kirche. Würde es mehr
Priester wie ihn geben, wären die Kirchen voller. Soviel steht fest. Ein
Beispiel oder Vergleich, den ich mir auch später noch immer wieder vor Augen
führe, ist folgender: In Sandy‘s Gotteshaus erhalten jeden Abend 60 Obdachlose
die Möglichkeit zu duschen, zu essen und zu schlafen. Wenn ich mir das unter
Kardinal Meissner im Kölner Dom vorstelle, weiß ich, wie das ausgeht.
Zu uns gesellen sich Debbie, Cath, Joanna und Rocky – alles
Damen aus England, Kanada und den USA, und ich muss gehörig aufpassen, dem
Gespräch zu folgen. Drei vollkommen verschiedene Dialekte des Englischen sind
doch ein bisschen viel auf einmal. Es bleibt jedoch bei einem unterhaltsamen
Nachmittag und Sandy, Rocky, seine Schwester und ich essen noch zusammen zu
Abend. Sandford und meine Wenigkeit entscheiden uns, die morgige Etappe gemeinsam
zu gehen. Wir verabreden uns für halb acht an seiner Albergue. Ein netter
Ausklang des Abends.
Zurück in meiner Albergue angekommen, sitzt in der Küche
eine weitere Mitpilgerin, die ein kleines Set Aquarellfarben und eine Art Stift
mit sich führt und erstaunliche Bilder in einem kleinen Buch malt. Sie sagt,
sie geht weniger Kilometer und malt dafür mehr. Sie möchte zudem ein Buch zu
den Bildern schreiben. Die Bilder sind Impressionen des Weges und wirklich gut.
21.05.: Navarette – Azofra (24,1km)
Die Nacht ist trotz der überaus schönen Herberge der
Horror. Aus Angst, morgens meinen durchaus leisen Wecker nicht zu hören, will
ich ohne Oropax schlafen. Eine schlechte Entscheidung. Ganz schlecht. In einem
Raum mit 14 Betten sind gleich drei Schnarcher, die jedem Sägewerk zur Ehre
gereicht hätten. Und wach werde ich überpünktlich, weil wieder Pilger sehr
zeitig aufstehen und für mich ohne Oropax auch mit größter Mühe, ruhig zu sein,
zu laut sind, um nicht aufzuwachen. Ich mache mich auf den Weg in eine Panadería
und kaufe erst einmal zwei Croissants und Schokoladenhörnchen für uns. Sandy
nimmt es begeistert an und wir frühstücken quasi by the way. Es ist eine tolle
Etappe. Wir verstehen uns prächtig, haben dasselbe Tempo und kehren zum Lunch
in einer kleineren Stadt direkt neben dem Fluss ein.
Die Spanier neben uns trinken etwas aus einer
5l-Plastikflasche, das aussieht wie Olivenöl, aber definitiv Umdrehungen hat.
Das weckt unser Interesse. Ist ja auch schon fast 12:00 Uhr. Es stellt sich als
wohlschmeckender süßlicher Kräuterlikör heraus, der vergleichbar mit einem sehr
sanften Grappa ist. Nach unserem Mittagsbocadillo kaufen wir jeder eine
700ml-Flasche. Somit sind es dann schon 16kg zu tragen. Wir besichtigen noch
ein Kloster, auf dessen Glockenturm sechs Storchenpärchen nisten. Die Dame vom
Kartenverkauf berichtet, dass sie Angst haben, dass die Statik des Turms so
langsam nicht mehr ausreicht, um Nester und Vögel zu kompensieren. Die Etappe
danach ist unspektakulär und schnell bewandert.
Die Herberge besitzt nur Doppelzimmer. Eines davon beziehen
wir. Welch eine Wohltat, nur ein Zweibett-Zimmer. Die erste Flasche wird am
Nachmittag aufgemacht und in ähnlicher, aber erweiterter Konstellation der
Leute wie tags zuvor geleert. Den ganzen lieben langen Tag nur Englisch zu
sprechen ist fantastisch, aber auch kraftraubend. Die „Clique“ geht noch
zusammen essen und danach fallen wir mit dem Vorsatz ins Bett, morgens ohne
Wecker aufwachen zu wollen. Wir müssen unüblicherweise erst um neun aus der
Herberge und wollen nur eine Kurzetappe nach Santa Domingo machen. Ich bin
wirklich froh, Sandy kennen gelernt zu haben!
22.05.: Azofra – Santa Domingo de la Calzada (16,4km)
Herrlich, keiner durch dessen Krach man geweckt wird. Wir
wachen um 7:15 Uhr auf, lassen uns Zeit mit dem Aufstehen. Bis wir loswandern
ist es kurz vor 9:00 Uhr. Egal – das kleine Stückchen Weg ist gut zu schaffen.
Zu uns gesellt sich Jan aus Münster, der eigentlich mit seiner Freundin Nikki
aus Kanada unterwegs ist. Sie hat jedoch Knieprobleme und läuft nur langsam.
Daher schläft er immer aus und holt sie dann unterwegs irgendwann ein. Eine
wirklich gute
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