Keiner wie er (German Edition)
zwischen den Wäldern lag. Mit Sicherheit gab es hier ein Echo. Verdammt, sie wollte weg!
Nur das konnte sie nicht.
Mit den Jahren musste Tina lernen, die Signale ihres Körpers nicht zu ignorieren. Wenn man an 340 Tagen im Jahr unterwegs war, in jeder dritten Nacht in einem anderen Bett schlief und nur unregelmäßig aß, wurde das zwingend notwendig. Und ihr Körper signalisierte nun einmal unmissverständlich, dass sie jetzt dringend schlafen musste. Während der endlos anmutenden Autofahrt hatte sie nicht gewagt, die Augen zu schließen. Die bloße Vorstellung, mit ihr würde etwas geschehen, das sie nicht beeinflussen konnte, beunruhigte sie zu sehr.
Daher ignorierte sie den drängenden Fluchtinstinkt bis auf Weiteres und legte sich angewidert in das fremde Bett. Und das, wo doch eigentlich jede Schlafstätte eine unbekannte für sie darstellte. Überrascht registrierte sie, wie bequem es war, wenngleich die Einrichtung des Zimmers zu wünschen übrig ließ. Tina drückte ihr Gesicht in das Kissen und schlief tatsächlich nach wenigen Sekunden ein.
Widerwillig.
* * *
Als sie am nächsten Morgen erwachte, plagten sie zunächst extreme Orientierungsschwierigkeiten.
Alles wirkte so anders.
Normalerweise empfing sie die leicht stickige, aber beruhigende Atmosphäre eines Hotelzimmers. Die besaß ihr ganz eigenes Flair, man gewöhnte sich sehr schnell daran. Auch an die gedämpften Geräusche, die ein Hotelbetrieb nun einmal mit sich brachte.
Hier gab es nichts!
Nur Vogelgezwitscher – was grauenhaft nervte. Die Sonne schien durch das winzige Fenster direkt auf den altertümlichen Schrank, in dem sie wohl ihre Sachen unterbringen sollte.
Ein hohles Gefühl im Magen erzählte Tina, dass sie unbedingt etwas zu sich nehmen musste. Der erste Gedanke galt ihrer Handtasche und als ihr einfiel, dass dieser arrogante, selbstherrliche Idiot ihr Zeug gestohlen hatte, kochte augenblicklich die Wut hoch. Allerdings blieb sie nicht lange. Aus Überzeugung trauerte Tina keinen verlorenen Dingen nach. Es galt, mit dem Vorhandenen zu leben. Und das war ...
Zahnpaste!
Nicht besonders gut, erfüllte sie zur Not jedoch auch den Zweck. Ein wenig mehr als üblich auf die Bürste getan, und schon ging es ihr bedeutend besser. Nebenbei fragte sie sich, ob Tom beim Einpacken ihrer persönlichsten Dinge auf seine Kosten gekommen war. Verbissen bemüht, sich an dessen Gesicht zu erinnern, erschien vor ihrem geistigen Auge jedoch nur eine riesige Gestalt und ein dämliches Dauergrinsen.
Nun ja, als er ihre Unterwäsche in den Händen hielt, hatte er bestimmt gegrinst.
Egal, Tina würde ihn nie wieder sehen und er zerriss sich mit Sicherheit nicht als Einziger das Maul über sie. Wahrscheinlich mit Francis im Duett, falls die beiden noch immer ein Paar waren. Vorsichtshalber sandte sie der eine imaginäre Botschaft:
Ich bin erwachsen geworden. Auch wenn dein dämlicher Bruder das anders sieht. Aber der hat dafür so einige Probleme, vermute ich ...
Nach einer ausgiebigen Dusche, im Haus war glücklicherweise alles still, begutachtete sie das beschränkte Repertoire an Kleidung. Nichts eignete sich für einen Aufenthalt in der Wildnis. Am Ende entschied sie sich für etwas Schwarzes, dann sah man wenigstens den Dreck nicht. Nachdem sie sorgfältig Make-up aufgelegt und das Haar gestylt hatte, stand sie ratlos in ihrem Zimmer.
Dies entsprach ihrem allmorgendlichen Ritual. Es nahm immer den gleichen Verlauf. Im Normalfall würde jetzt das Frühstück folgen und dann wäre sie in irgendein Unternehmen gefahren, meist, ohne zu wissen, was sie dort erwartete. Improvisation gefiel ihr, die Fähigkeit, jede unbekannte Situation zu meistern, signalisierte, dass Tina sie kontrollierte.
Dieser Gedanke gab ihr neuen Auftrieb.
Zwar ausnehmend ungewöhnlich, handelte es sich doch am Ende um nichts anderes, als eine neue Herausforderung. Tina war wild entschlossen, sie zu bewältigen, wie alle anderen auch.
Mehr um sich abzulenken, trat sie ans Fenster, das direkt zum See hinauswies. Auf dem kleinen Steg stand eine große, schlanke, nackte Gestalt.
Sinnierend betrachtete er das Wasser und sprang dann ganz unvermutet in das mit Sicherheit eisige Nass. Dabei gab er sich deutlich Mühe, eine gute Figur zu machen. Selbst in dieser Einöde zog er seine Show ab. Einschließlich Demonstration, dass ihm natürlich niemals kalt wurde. Nichts hatte sich geändert!
Eine erstaunliche Weile später tauchte er auf, schüttelte wild das dunkle Haar
Weitere Kostenlose Bücher