Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Keiner wird weinen

Keiner wird weinen

Titel: Keiner wird weinen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Polina Daschkowa
Vom Netzwerk:
ihm in den drei Jahren auch fast geglückt. Nur hin
     und wieder tauchte die schwüle Augustnacht, das halbdunkle fremde Treppenhaus, der Gestank nach Katzenurin und seine eigene
     klebrige Angst aus seinem Gedächtnis auf.
    Begonnen hatte das Ganze völlig harmlos. Er hatte lediglich eine flüchtige Affäre mit der Frau eines Freundes angefangen.
     Genaugenommen hatte sie die Initiative ergriffen, Marina. Er selbst hätte sich nicht getraut. Er war mit ihrem Mann Shenja
     Wedenejew nicht nur befreundet, sie waren auch Geschäftspartner. Sie verband sehr vieles – die gemeinsame Jugend, das Studium,
     das gemeinsame Geschäft.
    Shenja war lange Junggeselle geblieben, auf der Suche nach der Richtigen, und heiratete schließlich eine derartige Kanaille,
     daß selbst der erfahrene Stas nur staunte.
    Ende der Achtziger, als in Rußland die ersten pompös ausgerichteten Schönheitswettbewerbe stattfanden, wurde die neunzehnjährige
     Marina Nikolajewa »Miss Charme« von Moskau. Nach einem halben Jahr errang sie den Titel »Miss Liebreiz« von ganz Rußland.
     Dann folgte ein Auftritt als Model in einer Tamponwerbung. Damit endete die Karriere der »Miss«.
    Schönheitswettbewerbe und Werbeaufnahmen waren enorm anstrengend, physisch wie moralisch. Marina aberwar faul und nicht sonderlich ehrgeizig. Sie konnte tagelang auf der Couch liegen, die langen, genialen – wie ihr Mann Shenja
     sagte – Beine angezogen, Erdbeermark oder Heilschlamm vom Toten Meer auf dem Gesicht, eine Zigarette zwischen den Zähnen und
     den Telefonhörer am Ohr. Dem jungen Ehemann war es ein Rätsel, was man stundenlang am Telefon erörtern konnte, wenn man sein
     Leben mit absolutem Nichtstun verbrachte.
    Das einzige, was Marina veranlassen konnte, sich vom Telefon zu lösen und sich die Maske vom Gesicht zu waschen, war Sex.
    Marinas Unersättlichkeit war für jeden augenfällig. Sie hatte eine Art, sich zu bewegen, die Schultern zu heben, die Worte
     zu dehnen, daß vielen ganz schwindlig wurde. Zum Beispiel Stas.
    Bereits in den Flitterwochen betrog sie ihren jungen Ehemann. Sie tat es so elegant und mit einer solchen Leichtigkeit, daß
     man sie dafür unmöglich verurteilen konnte. Zudem, wie das häufig der Fall ist, wußten alle rundum Bescheid, bis auf den Ehemann.
     Shenja selbst verharrte in glücklicher Unwissenheit, und niemand verspürte den Wunsch, ihm die Augen für die bittere Wahrheit
     zu öffnen.
    Rasch war die Reihe auch an Stas. Kaum fuhr Shenja für eine Woche auf Dienstreise, hielt Stas auf einmal den Schlüssel zu
     der Wohnung in der Hand, in der die schöne Marina, die »genialen« Beine angezogen, auf der Couch lag.
    Natürlich fühlte Stas sich unbehaglich. Aber er war schließlich nicht der erste und nicht der letzte. Außerdem – die offene
     Aufforderung der Schönen auszuschlagen wäre irgendwie unmännlich gewesen.
    Gegen ein Uhr nachts betrat Stas das Treppenhaus des alten Hauses, den Schlüssel zu Shenjas Wohnung in der Faust. Der Fahrstuhl
     war kaputt, Stas stieg zu Fuß hinauf in den fünften Stock. Bald hörte er von oben vorsichtige Schritte. Mehrere Personen kamen
     die Treppe herunter. Sie liefenschnell, aber ganz leise. Bemüht, keinen Lärm zu machen. Klar, es war ja schon spät, sie wollten niemanden wecken.
    Auf dem Absatz zwischen zweitem und drittem Stock stieß Stas mit vier jungen Männern zusammen. Zwei trugen große Sporttaschen,
     der dritte balancierte auf ausgestreckten Armen einen Karton von einer Stereoanlage oder ähnlichem. Der vierte war ohne Gepäck.
    Stas trat höflich beiseite und ließ die Prozession vorbei. Er schaute den Männern nicht ins Gesicht. Was gingen sie ihn an?
     Wenn man sich nachts zu einer fremden Frau in eine fremde Wohnung schleicht, starrt man die Leute, die einem begegnen, nicht
     an. Doch der vierte, der den Schluß bildete, verharrte einen Augenblick und starrte seinerseits Stas an. Es war ein unguter
     Blick, und Stas dachte noch: Ist das vielleicht Shenjas Nachbar? Vielleicht hatte der ihn schon einmal gesehen, als er Shenja
     besuchte, und wunderte sich jetzt, was er mitten in der Nacht hier wollte, zumal der Hausherr auf Dienstreise war?
    Das Licht im Treppenhaus war ziemlich hell. Unwillkürlich schaute Stas dem Mann ins Gesicht. Ein vollkommen unauffälliges
     Gesicht.
    Ohne recht zu wissen, warum, ging Stas nicht sofort zu Shenjas Wohung, sondern stieg eine Etage höher und verharrte dort auf
     dem Treppenabsatz. Unten war die Haustür längst

Weitere Kostenlose Bücher