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Keiner wird weinen

Keiner wird weinen

Titel: Keiner wird weinen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Polina Daschkowa
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herausfordernd die Augen zusammen und blies
     den Rauch durch die Nase.
    Komisch sind sie, dachte Malzew, komisch und dumm. In der Zeit, die sie in Treppenhäusern und Hauseingängen herumhängen, rauchen,
     Bier trinken und flirten, könnte jeder von ihnen zwei Sprachen lernen oder den Umgang mit einem Computer und manches andere
     Nützliche. Gut, daß mein Serjosha erst sechs ist und wir uns um solche Dinge bislang keinen Kopf machen müssen.
    »Was meinen Sie, ist der junge Mann, mit dem Selinski vorm Fahrstuhl gesprochen hat, mit ihm zusammen gekommen? Oder kann
     er in der Nische vor der Kellertür auf ihn gewartet haben?«
    »Nein, dort stand niemand. Ich bin ein paarmal runtergelaufen. Meine Oma saß draußen auf einer Bank. Ich hab ihr eine Jacke
     gebracht, dann wollte sie noch ihre Brille. Sie hat mich dauernd hin und her gescheucht. Ein Fremder im Hauseingang wäre mir
     aufgefallen.«
    »Gut, sie sind also zusammen gekommen. Und Sie haben einen Teil ihrer Unterhaltung gehört, als Sie die Treppe runterliefen.«
    »Ja. Stas hat gesagt: Was für ein Schwachsinn, wo kommst du eigentlich her … Wörtlich erinnere ich mich nicht, aber irgendwas
     in der Art. Und der andere …« – das Mädchen runzelte unter ihrem Haarschopf die Stirn –, »warten Sie, ich glaube, er hat was
     von Klarheit gesagt, von wegen, ich bin für Klarheit, man sollte nichts komplizierter machen. Und Selinski hat noch gesagt:
     Hör mal, vielleicht bist du ja ein Irrer? Diesen Satz habe ich mir genau gemerkt.«
    »Das Gesicht des Mannes haben Sie nicht zufällig gesehen?« fragte Malzew leise.
    »Er stand mit dem Gesicht zum Fahrstuhl. Ich hab ihn mir nur von hinten und ein bißchen von der Seite ankucken können, nur
     ganz flüchtig.«
    »Wie war er gekleidet?«
    »Ganz normal.« Irina zuckte die Achseln. »Jeans, kurzärmliges Hemd.«
    »Größe, Statur?«
    »Nicht groß. Einen halben Kopf kleiner als Selinski. Mager, aber kräftig. Kurze Haare, eher hell als dunkel. Nein, an mehr
     erinnere ich mich wirklich nicht.«
    »Jung?«
    »Wenn ich sein Gesicht gesehen hätte … Aber nicht älter als vierzig, das ist sicher.«
    »Sie haben dem Untersuchungsführer gesagt, Sie hätten Feindseligkeit zwischen den beiden gespürt«, erinnerte Malzew sie.
    »Ja, ich hatte den Eindruck, sie würden sich gleich prügeln.«
     
    Malzew verabschiedete sich von Irina, ging zurück ins Haus, stieg hinauf in den vierten Stock und klingelte an Selinskis Tür.
    Inna empfing ihn in einem bodenlangen weißen Frotteebademantel und mit einem Handtuchturban auf dem Kopf.
    »Ich spüle mir Ihre U-Haft ab«, verkündetet sie mürrisch und gab Malzew seinen Ausweis zurück, »Sie haben mir doch schon alle
     Fragen gestellt, und die Verpflichtung, am Ort zu bleiben, habe ich auch bereits unterschrieben. Was wollen Sie denn noch?«
    »Es gibt schon noch Fragen.« Malzew lächelte. »Entschuldigen Sie, das ist mein Job.«
    »Na schön, kommen Sie rein. Ich kann Ihnen sogar einen Tee anbieten.«
    »Danke, da sage ich nicht nein.«
    Die Küche blitzte vor Sauberkeit. Im Bademantel und mit dem Turban auf dem Kopf erinnerte Inna ihn an einen Werbespot, er
     wußte nur nicht mehr, wofür. Volle sinnlicheLippen, katzenhaft schräge hellbraune Augen, eine schmale Stupsnase. Eine bildschöne Frau.
    Er setzte sich auf die breite Bank, wartete, bis Inna den Wasserkocher gefüllt und eingeschaltet hatte. Erst als sie ihm gegenübersaß,
     stellte er seine erste Frage.
    »Sagen Sie, Inna, haben Sie an dem bewußten Abend Ihren Mann nach Hause kommen gehört?«
    »Ich hab die Tür klappen gehört, und ich hatte den Eindruck, als hätte er mit jemandem gesprochen.«
    »Wann genau war das?«
    »Um neun, vielleicht kurz vor neun … Im Fernsehen lief gerade der Werbeblock vor den Abendnachrichten.«
    »Sie sagen, Ihr Mann hat an der Tür mit jemandem gesprochen. Mit einem Mann oder mit einer Frau?«
    »Mit einem Mann. Aber die Worte habe ich nicht verstanden. Ich hatte den Fernseher sehr laut.«
    »Entschuldigen Sie, aber warum haben Sie Ihren Mann nicht begrüßt? Sich nicht dafür interessiert, wen er mitgebracht hatte?«
    »Wir hatten Zoff. Sein Besuch war mir egal. Ich war sauer.« »Warum?«
    »Das ist eine lange Geschichte.«
    »Trotzdem, in zwei Worten«, bat Malzew vorsichtig. »Es ist wichtig.«
    »Was ist wichtig? Warum wir uns gekracht haben? Warum wir uns scheiden lassen wollten?« Inna kam in Fahrt. »Das hab ich doch
     alles schon dem Untersuchungsführer

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