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Keiner wird weinen

Keiner wird weinen

Titel: Keiner wird weinen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Polina Daschkowa
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Bericht nur, wenn die Serviererin an den Tisch kam. Nun stellte sie die appetitlich
     zischende Hähnchenkeule mit der Papierblume um den dünnen Knochen, mit Bratkartoffeln, eingelegtem Knoblauch und Oliven vor
     ihn hin.
    »Sie essen ja gar nichts«, bemerkte das Mädchen. »So vertieft sind Sie in Ihr Gespräch.«
    »Ja, ja, es schmeckt alles sehr gut«, erwiderte Golowkin völlig unsinnig.
    »Wir haben es nicht eilig, junge Frau.« Skwosnjak schenkte der Serviererin ein strahlendes Lächeln. »Wir haben etwas zu besprechen.«
    Sie verstand die Andeutung und zog sich zurück. Golowkin griff endlich entschlossen nach seinem Glas und schob sich ein Stück
     geräucherten Stör und eine Olive in den Mund.
    »Und dann«, fuhr er fort, »erzählte mir das Mädchen an der Rezeption, Kurbatow sei verschwunden, sei nicht mehr im Hotel aufgetaucht.
     Außerdem sagte sie noch, er habe einen Anruf aus Moskau bekommen. Ein Mann, der sich als sein Bruder vorstellte, suchte Kurbatow
     und bat, ihm auszurichten, daß sich Telefon- und Faxnummer geändert hätten. Und am nächsten Tag kam sie zu mir und zeigte
     mir eine Zeitung. Eine tschechische natürlich. Unter der Rubrik Verbrechen stand eine Notiz über die Ermordung des russischen
     Staatsbürgers Denis Kurbatow. Die Polizei ginge davon aus, daß es sich um einen Auftragsmord handele, eineAbrechnung unter russischen ›Geschäftsleuten‹, von denen es seit einiger Zeit in Prag viele gebe. Das Mädchen weinte fast,
     als es mir die kleine Notiz übersetzte. ›Ich hoffe, er war doch nicht Ihr Neffe.‹ Ich begriff, daß ich aus dem Hotel verschwinden
     mußte. Dort würde bald die tschechische Polizei auftauchen, und womöglich erzählte ihnen das mitfühlende Mädchen die Geschichte
     vom armen kranken Onkel aus Rußland …«
    »Fertig?« fragte Skwosnjak leise nach einer Pause, die eine ganze Ewigkeit dauerte.
    »Ja.« Golowkin nickte und machte sich über seine Hähnchenkeule her.
    Wer weiß, vielleicht war es ja das letzte Mal in seinem Leben … Er leistete sich so selten ein gutes Essen. Schade, da hatte
     er viel versäumt.
    »Wieviel Geld hast du im Moment?« Die Frage klang so banal und alltäglich, daß Golowkin sich verschluckte.
    Die Rede war von seinen persönlichen Ersparnissen, von dem Geld, für das er so viele Jahre so viel riskiert und sich alles
     versagt hatte. Noch vor ein paar Sekunden hatte er Abschied vom Leben genommen und nicht an Geld gedacht. Nun aber schien
     es ihm weit schwerer, sich von dem Geld zu trennen als von seinem Leben.
    »Wieviel brauchst du denn?« fragte er hustend.
    »Alles«, antwortete Skwosnjak schlicht, »ich brauche alles, was du hast.«
    »Aber ich hab nichts flüssig … Nur Gold, Festgeldkonten … Sofort geht das nicht.«
    »Muß auch nicht sofort sein.« Skwosnjak nickte.
    Golowkin goß sich Wodka nach, leerte das Glas in einem Zug und verzehrte mit obszöner Gier seine Hähnchenkeule samt allen
     Beilagen. Er rief die Serviererin heran und fragte sie: »Kann ich bei Ihnen eine Schachtel Zigaretten bekommen?«
    »Selbstverständlich. Welche Sorte?«
    »Die allerbesten, teuersten. Und noch einen Kaffee. Einen, wie heißt das gleich – einen Cappuccino!«
    »Du rauchst doch gar nicht«, bemerkte Skwosnjak, als die Serviererin gegangen war.
    »Jetzt doch!« Golowkin trank den restlichen Wodka in einem Zug gleich aus der Karaffe.

Viertes Kapitel
    Die beiden waren Wolodja schon in der Gasse aufgefallen. Ein krankhaft dicker, etwa siebenjähriger Junge und eine ältere Frau.
     Die Frau ging an Krücken. Beide waren sehr ärmlich gekleidet. Wolodja fuhr langsam, mit offenem Fenster. Er hörte, daß der
     Junge die ältere Frau Mama nannte.
    An der Kreuzung stauten sich die Autos, es war Berufsverkehr. Als die Fußgänger Grün hatten, eilten zwei Menschenmengen aufeinander
     zu. Die Leute rannten und stießen einander gegenseitig fast um beim Lavieren zwischen den Stoßstangen der Autos, die mitten
     auf dem Fußgängerüberweg standen.
    Der Junge stützte fürsorglich seine Mutter, sie liefen sehr langsam. Sie wurden geschubst, jemand bellte: »Geht das nicht
     schneller?« Dann setzten sich die Autos in Bewegung. Es war noch immer Grün, noch immer überquerten Menschen die Straßen,
     doch die Autos fuhren einfach los, direkt auf die Menschen zu.
    Die Frau und der Junge erstarrten mitten auf der Fahrbahn. Wolodja sprang aus seinem Moskwitsch und rannte zu ihnen, aber
     zu spät. Ein schwarzer Jeep hielt direkt auf die

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