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Keiner wird weinen

Keiner wird weinen

Titel: Keiner wird weinen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Polina Daschkowa
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weiß, lebt Ihre Mutter noch, und Ihr Bruder wurde von niemandem
     adoptiert. Wir schließen nicht aus, daß dieser Russe etwas mit dem Mord zu tun hat. Aber vielleicht ist das ja auch nur Zufall.«
    »Haben Sie ihn gefunden?« fragte Anton heiser.
    Nein, dachte er, das ist kein Zufall, ganz bestimmt nicht. Hier muß der Faden sein, irgendwo hier. Und du bist ein schlechter
     Polizist, Inspektor, wenn du ihn nicht aufnimmst.
    »Nein.« Der Inspektor schüttelte den Kopf. »Er ist abgereist. Wir haben eine Anfrage nach Rußland geschickt. Aber wenn er
     wirklich etwas mit dem Mord an Ihrem Bruder zu tun hat, dann hat er vermutlich unter falschem Namen im Hotel gewohnt.«
    »Ja, das ist logisch«, sagte Anton.
    »Unterschreiben Sie bitte. Hier und hier. Ich danke Ihnen.« Der Inspektor stand auf und drückte Anton fest die Hand. »Möchten
     Sie den Leichnam in Prag einäschern lassen oder ihn nach Moskau überführen?«
    Er war erst vor ein paar Stunden angekommen. Vom Flughafen hatte man ihn sofort ins Leichenschauhaus gefahren, zur Identifizierung.
     Wie richtig es doch gewesen war, seine Mutter nicht mitzunehmen. Er schaute in das Gesicht seines toten Bruders und konnte
     es dennoch nicht glauben. Alles in ihm sträubte sich gegen diese ungeheuerliche Wahrheit. Auch die Frage des Inspektors traf
     ihn unvorbereitet. Den Leichnam nach Moskau überführen? In einem speziellen Kühlbehälter? O Gott … Oder ihn im hiesigen Krematorium
     einäschern lassen und die Urne nach Moskau bringen? Und Mutter? Sollte er in Moskau anrufen und sich mit ihr beraten?
    »Ich nehme die Urne mit nach Moskau«, sagte er schließlich gequält.
    »Nun, das ist vernünftig.« Der Inspektor nickte. »Kommen Sie morgen früh vorbei, dann machen wir die nötigen Papiere fertig.«
    »Verzeihen Sie, dürfte ich die Adresse des Reisebüros Böhm erfahren?«
    »Aber selbstverständlich. Es ist in der Ahornstraße.«
     
    Nur mit Mühe erkannte er in der hochgewachsenen fülligen Dame Agneška wieder, das rothaarige, sommersprossige dürre Mädchen.
     Tränen stiegen ihr in die Augen, als sie Anton sah.
    »Wollen wir zu mir nach Hause gehen? Wo bist du abgestiegen?«
    »Bislang nirgends«, bekannte er und küßte ihre kühle, glatte Wange.
    Agneška roch nach teurem Parfüm. Sie hatte keine einzige Sommersprosse mehr im Gesicht. Aus dem schlaksigen Teenager mit der
     schlechten Haltung war eine gepflegte, attraktive Dame geworden.
    »Weißt du, Denis ist hier ganz zufällig reingekommen. Er mußte dringend ein Fax abschicken. Er hat mich nicht mal gleich erkannt.«
    »Ein Fax? Nach Moskau?« fragte Anton dumpf.
    »Ja. Er hat es selbst abgeschickt, es war handgeschrieben. Ich hab kurz draufgeschaut, es war irgendeine Adresse … Aber ich
     erinnere mich nicht mehr daran, es ist einfach weg. Willst du sehen, an welche Nummer er es geschickt hat? Du bist also noch
     nirgends abgestiegen? Dann komm erst mal zu uns. Du solltest jetzt lieber nicht allein sein. Hier, siehst du. Soll ich dir
     die Nummer aufschreiben?«
    »Nicht nötig …«
    Die Nummer kannte Anton auswendig. Sie hatte noch vor kurzem der Firma Star-Service gehört. Als Denis das Fax abschickte,
     wußte er noch nicht, daß die Firma nicht mehr existierte. Er hatte ihm kurz vor seinem Tod etwas mitteilen wollen.
    »Ich glaube, er hat geahnt oder sogar gewußt, daß jemand hinter ihm her war. Er war ganz hektisch. Aber dann hat er sich ein
     bißchen beruhigt, wollte sogar mit mir Kaffee trinken.«
    »Hör mal, Agneška!« Anton schrie fast. »Was ist mit dem Blatt? Das Blatt mit dem Text, hast du das noch?«
    Agneška schüttelte traurig den Kopf.
    »Er hat das Stück mit dem Text abgerissen und im Aschenbecher verbrannt. Ich hab hinterher die Asche gefunden. Und noch was
     … Erst heute morgen habe ich zufällig erfahren, daß er im Friseursalon in der Nachbarstraße war. Da gehe ich auch immer hin,
     eine Freundin von mir arbeitet dort.«
    Agneška war aufgeregt und erzählte verworren. Sie war ganz blaß. Unter dem Make-up schimmerten sogar ein paar Sommersprossen
     hindurch – offenbar hatten sie nicht restlos beseitigt werden können.
    »Moment mal«, fiel Anton ihr ins Wort, »er ist zum Rasieren nie zum Friseur gegangen. Niemals.«
    »Aber an diesem Morgen, na ja, bevor das alles passierte, da war er beim Friseur. Das steht fest. Und er hat den Ladennicht durch die Tür verlassen. Er hat nach der Toilette gefragt und ist dort durchs Fenster raus. Das Toilettenfenster geht
    

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