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Keiner wird weinen

Keiner wird weinen

Titel: Keiner wird weinen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Polina Daschkowa
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Hähnchenragout.«
    Mit einem Hauptgericht würden sie länger hier sitzen bleiben, wenigstens ein bißchen länger …
    »Hähnchenragout haben wir nicht«, seufzte die Serviererin, »nehmen Sie Hähnchenkeule auf Kiewer Art, das kann ich sehr empfehlen.«
    Bei dem Wort »Hähnchenkeule« wurde Golowkin ein wenig wärmer ums Herz. Es klang so friedlich, so gemütlich …
    »Ja, für mich bitte Hähnchenkeule.« Er nickte freudig.
    »Und für Sie?« Das Mädchen neigte kokett den Kopf und lächelte freimütig.
    Frauen mochten Skwosnjak. Sein Äußeres war eine originelle Kombination aus Kultiviertheit und verborgener Kraft, sanfter Männlichkeit.
    Golowkin bemerkte das unschuldige Flirten der blutjungen Serviererin und dachte spöttisch: Wenn du wüßtest, wem du da schöne
     Augen machst.
    »Danke, ich möchte kein Hauptgericht. Und Wodka bitte nur für den Herrn. Für mich Orangensaft.«
    Die Serviererin entfernte sich. Ein stahlharter Blick durchbohrte Golowkin. Es war aus, länger konnte er es nicht hinauszögern.
     Golowkin bekreuzigte sich im stillen und sagte: »Das Geld ist weg. Darum habe ich mich auch verspätet.«
    Er berichtete ausführlich, wie er der Prager Filiale ihrer Bank eine Million Dollar abgeschwatzt hatte. Skwosnjaks Bande agierte
     zwar in Rußland, brachte aber ihr Hauptkapital ins benachbarte Ausland, und zwar über die Bank »Slawjanka«, zu deren Finanzgeschäften
     unter anderem die aktive Geldwäsche gehörte.
     
    In den letzten Jahren war es unter den »neuen Russen« Mode geworden, Immobilien in Tschechien zu erwerben.
    Die Tschechoslowakei hatte zwar zum sozialistischen Lager gehört, nach dessen Zerfall aber ziemlich rasch die unangenehmen
     Folgen des entwickelten Sozialismus bewältigt. Das Land hatte es geschafft, Stabilität, Ruhe und ein hohes Lebensniveau zu
     wahren. In Prag, dem geographischen Zentrum Europas, waren die Immobilienpreisewesentlich niedriger als in anderen europäischen Metropolen, ganz zu schweigen von Moskau.
    Eine Wohnung in Prag oder ein Häuschen in dessen Umland zu kaufen war nicht sehr teuer und relativ unkompliziert. Zwar durften
     Ausländer in Tschechien formal keine Immobilien erwerben, aber jeder Ausländer konnte im Land eine Firma gründen, wenn er
     einen tschechischen Mittelsmann einschaltete. Und diese Firma wiederum konnte dann Immobilien erwerben.
    Firmen, teils tatsächlich existierende, meist aber Scheinfirmen, schossen im ehemaligen Bruderland wie Pilze aus dem Boden.
     Es floß Kapital, es entstanden zweifelhafte Vermittlerstrukturen, Banken und GmbH. Den Grundstock dieser ganzen Finanztransaktionen
     bildete natürlich kriminelles Geld. Auch die blutigen Einkünfte von Skwosnjaks Bande flossen in diesen Strom.
    Nach der Verhaftung der drei engsten Vertrauten von Skwosnjak wurde dringend Geld benötigt, viel Geld. Skwosnjaks Gefährten
     bekamen lange Haftstrafen; er selbst konnte zwar nicht gefaßt werden, stand aber auf der Fahndungsliste und befand sich auf
     der Flucht. Und das war ein teures Vergnügen.
    Unauffällig Bargeld beschaffen konnten sie nur in Prag. Also war Golowkin, der bescheidene Chefeinkäufer der Makkaronifabrik
     und heimliche Schatzmeister der Bande, in Skwosnjaks Auftrag dorthin gefahren.
    Die Direktion der Bank »Slawjanka« wußte natürlich, daß die Bande nicht mehr existierte und Skwosnjak gesucht wurde. Aber
     die Bankiers wußten auch: Skwosnjak war gefährlich. Er konnte jederzeit eine neue Truppe aufstellen, darum vermied man Konflikte
     mit ihm lieber.
    Was Golowkin in Prag vorfand, war nicht gerade schön. Die Bank war im Begriff, still und heimlich spurlos zu verschwinden.
     Einem Außenstehenden wäre das gar nicht aufgefallen, doch der erfahrene Golowkin sah sofort: Die Jungswollten abhauen, untertauchen in den Weiten Australiens oder Neuseelands.
    Nach kurzen, aber stürmischen Verhandlungen bekam Golowkin schließlich doch seine Million, stapelte die dicken Hundertdollarpacken
     in einen unauffälligen ledernen Aktenkoffer und wollte mit dem Zug nach Moskau zurückfahren. Doch dann geschah etwas Unvorhersehbares.
    Mitten in der Nacht erwachte Golowkin in seinem bescheidenen Hotelzimmer von einem leisen Geräusch. Einem unangenehmen Knirschen
     im Türschloß. Der Aktenkoffer lag unterm Bett. Zum Überlegen war keine Zeit. Mit einem lautlosen Satz war Golowkin mit dem
     Koffer in der Hand an der offenen Balkontür. Das Zimmer lag im dritten Stock. Den Nachbarbalkon trennten von seinem unten
     eine

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