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Keiner wird weinen

Keiner wird weinen

Titel: Keiner wird weinen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Polina Daschkowa
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Beefsteaks ganz vergaß.
    »Wer ist da schon noch« – der Junge zählte an den Fingern ab –, »die gelähmte Oma, die versoffene Mutter und der kleine Bastard.
     Dem kann doch alles mögliche zustoßen. Er könnte zum Beispiel aus dem Fenster fallen. Oder ertreibt sich auf der Straße rum und wird überfahren. Oder er sammelt im Müll irgendwas Faules auf, frißt es und krepiert dran.
     Er ist ja erst fünf, noch kein Funken Grips. Und ständig hungrig, wie ein streunender Hund. Und keiner paßt auf ihn auf.«
    »Na schön, aber wenn sie nun genauer nachhaken? Irgendein übereifriger Bulle? Nein, Pickel, ich kann nicht.« Der Dicke schüttelte
     den Kopf. »Red nicht weiter auf mich ein.«
    »Mensch, Kusja! So eine Wohnung, die da verkommt! Mitten im Zentrum, direkt an den Patriarchenteichen, Fenster zum Boulevard.
     Es tut mir in der Seele weh, wenn ich nur daran denke. Wie das alles verlottert – ein Gestank, ein Dreck überall, die Oma
     macht unter sich, die Mutter liegt besoffen rum. Ist doch einfach ungerecht, wenn in so einer Hütte mitten im Zentrum solches
     Pack wohnt.«
    Die Flasche leerte sich allmählich, die Stimmen am Nebentisch wurden immer lauter.
    »Warum hab ich mich bloß so vollaufen lassen?« fragte Kusja nachdenklich. »Ob ich mein Auto lieber stehenlasse?«
    Der Picklige winkte ab. »Ach was, trink einen starken Kaffee. Ist doch nicht weit. Also, sind wir uns einig?«
    Warum bin ich hergekommen? dachte Wolodja wehmütig.
    Draußen schrillte nervös die Alarmanlage eines Autos. Der Dicke sprang auf und rannte hinaus.
    Wolodja saß am Fenster. Er hob nur leicht den Vorhang an und sah, wie der dicke Kusja zu einem nagelneuen gelben Taurus rannte,
     einmal um ihn herumlief, die Tür öffnete und die Alarmanlage ausschaltete.
    »Wahrscheinlich eine Katze. Oder Kinder, die sich einen Spaß machen«, sagte er, als er zurück war.
    Er atmete schwer; noch einige Minuten nach dem kurzen Sprint zum Auto und zurück ging sein Atem rasselnd und heiser pfeifend.
     Doch das hörte Wolodja nicht mehr. Er rief die Serviererin, zahlte und verließ das Café.
    Der unbekannte fünfjährige Junge würde noch eine Weile leben. Wenn auch in Schmutz und hungrig, aber er würde leben. Und das
     Böse mußte bestraft werden.
     
    Bei der Explosion des vor einem kleinen Café in Sokolniki geparkten gelben Taurus kam kein Passant zu Schaden. Die Insassen
     wurden in Stücke gerissen. Die Karosserie blieb unversehrt. Die Identität der Opfer konnte festgestellt werden. Am Steuer
     saß Genrich Kusko, in bestimmten Kreisen bekannt als Kusja, ein illegaler Immobilienmakler, der raffiniert und skrupellos
     mit Wohnungen dealte. Sein Beifahrer Alexander Dementjew war zweifach vorbestraft und Mitglied einer kriminellen Vereinigung.
    Die Serviererin beschrieb einen kleinen, hageren jungen Mann, der am Nebentisch gesessen hatte, als die beiden Männer, die
     später bei der Explosion umkamen, aßen und Kognak tranken.
    »Er wirkte seltsam. Wissen Sie, so … So konzentriert, und er hat auch kaum was gegessen. Kurz nachdem draußen die Alarmanlage
     eines Autos ausgelöst worden war, hat er gezahlt und ist gegangen.«
    »Haben Sie zufällig gehört, worüber die beiden Männer gesprochen haben?« fragte Major Uwarow.
    »Vermutlich über Geschäfte.« Sie zuckte gleichgültig die Achseln. »Wissen Sie, es ist nicht meine Art, Gespräche von Gästen
     zu belauschen.«
    »Wir haben aber auch ein Glück mit diesem Pyrotechnik-Genie«, sagte Hauptmann Malzew seufzend. »Vielleicht ist das Schicksal,
     was meinst du, Jura? Immer wenn wir Dienst haben, gibt es irgendwo in der Stadt eine raffinierte Explosion.«
    »Wenn der Kleine Profi ist und im Auftrag arbeitet, warum setzt er sich dann im Café neben sein potentielles Opfer? Wozu denen
     und der Serviererin unnötig auffallen?«
    »Vielleicht ist er ja kein Profi?« Malzew kniff die Augen zusammen.
    »So eine Sprengvorrichtung und kein Profi?« Major Uwarow lachte. «Nein, Goscha. Das hier war irgendwas Persönliches. Weißt
     du, wie viele Leute dieser Kusja reingelegt hat? Wie viele Obdachlose und Selbstmörder ihm ihr Schicksal zu verdanken haben?
     Und man konnte ihm nichts beweisen, er hatte eine saubere Weste.«
     
    »Ich fahre nirgendwohin«, wiederholte Xenia Kurbatowa, schüttelte starrsinnig den Kopf und schlug sich mit der Faust aufs
     Knie.
    Anton sah, daß seine Mutter am Rande der Hysterie war. Seit Tagen aß sie nicht, rauchte unentwegt und war um zehn Jahre

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