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Keiner wird weinen

Keiner wird weinen

Titel: Keiner wird weinen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Polina Daschkowa
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Fensterkletterer? Solange er als debil
     gilt, kann ihm keiner was.«
    Der Fingerlose ging zu hastigem Flüstern über, und Kolja verstand nichts mehr. Aber er wußte nun, daß es um niemand anderen
     ging als um ihn selbst.
    »Nein.« Sachar hieb mit seiner schweren Faust auf den Tisch.
    Wieso streiten sie mit ihm? fragte sich Kolja beunruhigt. Er ist schließlich der Chef! Ein »Nein« von ihm reicht doch. Und
     er hat schon zweimal nein gesagt.
    »Wie du willst«, sagte der Schlitzäugige gelassen, und Kolja hörte, wie ein Hocker zurückgeschoben wurde.
    Sie gehen, begriff Kolja, sie sind sich nicht einig geworden.
    »Warte, Mongole.« Sachars Stimme klang beinahe bittend.
    »Entscheide dich, Sachar, und zwar jetzt gleich.« Sie setzten sich wieder. »Er ist nicht dein Sohn. Adoptieren kannst du ihn
     auch nicht. Ein Dieb hat keine Familie. Und der Junge, das wäre schon Familie. Was wird aus ihm, wenn du mal geschnappt wirst?«
     Der Mongole sprach ruhig und vernünftig. »Du willst, daß ich ihn zehn Jahre lang ausbilde. Und ich will, daß er in ein Fenster
     einsteigt. Ein einziges Mal. Ich will was zurückholen, das mir gehört. Dabei soll er mir helfen.«
    Sachar gab nach.
    Als die Männer gegangen waren, kam er leise zu Kolja ins Zimmer und setzte sich zu ihm aufs Bett. Er roch stark nach Tabak
     und Alkohol.
    »Du schläfst doch gar nicht, oder?« fragte er flüsternd.
    »Nein«, antwortete Kolja und öffnete die Augen.
    »Der Schlitzäugige kann mit einem einzigen Schlag einen Menschen töten, ohne jede Waffe«, begann Sachar. »Er ist nie krank,
     er kommt tagelang ohne Essen und ohne Schlaf aus. Niemand kann ihn schlagen, er kommt dem anderen immer zuvor. Er ist der
     freieste Mensch, den ich kenne. Er ist frei von sich selbst. Verstehst du mich, Skwosnjak?«
    »Ja.« Der Junge nickte im Dunkeln.
    «Ich bin ein Dieb«, fuhr Sachar fort, »und ich halte mich an unseren Diebeskodex. Ich werde nie eine Familie haben. Das darf
     ich nicht. Manche von uns, die machen in ganz Rußland Kinder und vergessen sofort ihren Namen. Aber ich bin anders. Ich hab
     mir immer einen Sohn gewünscht, einen Jungen wie dich. Ich kann dich nicht adoptieren, auch wenn ich das sehr gern möchte.
     Ich bleibe nie lange am selben Ort, mich kann jeden Moment einer am Arsch kriegen, entweder die Bullen oder die eigenen Leute.
     Ich will nicht, daß du ewig in der Scheiße sitzt. Der Mongole hat versprochen, dir vieles beizubringen. So wie er wirst du
     nie werden. So muß man geboren sein. Aber du kannst frei werden. Und das wird dein wichtigstes Kapital fürs ganze Leben sein.
     Aber nichts ist umsonst, Skwosnjak. Damit der Mongole dich ausbildet, mußt du ihm helfen. Bei einem Bruch. Verstehst du?«
    Der Junge nickte rasch, und Sachar sah im Dunkeln seine Augen funkeln.
    »Möchtest du ein Dieb werden, Kleiner?« fragte er leise. »Ja.«
    »Warum?«
    »Das gefällt mir.«
    Sachar hustete heiser, ging in die Küche, kam mit Papirossi zurück und zündete sich eine an.
    »Du meinst, das bedeutet Restaurants, tolle Weiber, viel Geld und keine Arbeit? Du meinst, das ist ein schönes, leichtes Leben?«
    Tief gebeugt und mit gesenktem Kopf saß er da und kam Kolja auf einmal sehr alt, müde und hilflos vor.
    »Nein«, sagte der Junge langsam, »das denke ich nicht. Ich möchte ein Dieb werden, weil ich alle hasse.« Er schwieg eine Weile
     und sagte dann ganz leise: »Alle außer dir.«
    Den Rest der Nacht lag Kolja wach. Er starrte an die Decke und dachte an den bevorstehenden Einbruch. Er wargerade elf Jahre alt, und er würde bereits bei einem Einbruch mitmachen, einer ernsten und gefährlichen Sache.
    Er würde über eine Feuerleiter in den dritten Stock hinaufklettern und durch ein kleines Lüftungsfenster in eine Wohnung einsteigen.
     Dann sollte er ganz schnell und leise in den Flur laufen und die Wohnungstür öffnen. Der Rest ging ihn nichts an. Sobald die
     Männer drin waren, würde er rausgehen und verschwinden. Sachar würde draußen im Auto auf ihn warten. Das war alles.
    Der kleine Skwosnjak war keineswegs aufgeregt, schon gar nicht feige. Er bedauerte, daß er nicht in der Wohnung bleiben und
     alles miterleben würde.
    »Du läufst gleich weg«, wiederholte Sachar mehrmals, »sofort. Verstanden? Sollte plötzlich jemand aufwachen, dann kriegst
     du das mit. Es wird still sein, und die Wohnung ist groß. Sie schlafen im Schlafzimmer. Wenn du Schritte hörst oder ein Geräusch,
     hast du genug Zeit und kannst in den

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